Gegenstand des Architekturwettbewerbs war das Gebäude in der Salzburger Vorstadt 15 – das Geburtshaus von Adolf Hitler. Es handelt sich hier um einen beispiellosen Ort, der weder Täter- noch Opferort ist, aber als solcher eine zentrale gedenkpolitische Bedeutung innehat. Braunau wird immer wieder damit verbunden, dass Hitler dort geboren worden ist. Wie wurde Ihnen dieser Ort bewusst?
Ich war nie dort, das ist aber aus meiner Sicht gar nicht so entscheidend. Es gibt einerseits die Salzburger Vorstadt, die sehr harmonisch ist und irgendwann im Vormärz gebaut wurde, mit lauter sehr ähnlichen Gebäuden, die auch noch weitestgehend in ihrem Urzustand sind – also als großes Ensemble dastehen, daher auch der Ensembleschutz. Wie Sie sagen, ist es ein Ort, der nicht ein Ort der Taten ist, sondern ein Ort, wo ein Leben seinen Anfang genommen hat. Nicht irgendein Leben, sondern das Leben von Adolf Hitler.
Hitler wurde dort geboren und hat die ersten Monate seines Lebens dort verbracht, danach hat er an einer anderen Adresse in Braunau sowie in Passau gewohnt. Die Frage zielt eher darauf ab, wie man überhaupt von diesem Ort erfährt, ob etwas darüber in der Schulzeit vermittelt wurde – war Braunau da ein Begriff?
Es ist ein richtig unauffälliges Haus. Ich bin sehr kritisch aufgewachsen und wurde auch sehr kritisch sozialisiert, sowohl in der Schule, als auch an der Akademie. Das Geburtshaus von Hitler hat mich nie interessiert, weil es einfach kein wie auch immer bedeutsamer Ort gewesen ist. Mich hat es daher auch nie dort hingezogen. Es mir anzuschauen, war nie Thema. Ich habe von dem Haus erst so richtig Kenntnis erlangt als die Enteignungsthematik durch die Medien gegangen ist und fand es damals interessant, dass sich da eine Gruppe von Leuten zusammengesetzt hat und eigentlich den ganzen Vorgang programmiert hat, wo, so glaube ich zu wissen, kein einziger Architekt dabei war.
Wir waren in den 1990er-Jahren sehr oft in Berlin. Ich habe diese Stadt schon vor dem Mauerfall relativ intensiv studiert – beidseitig, Ost und West. Meine Oma war Berlinerin. Im Rahmen unseres ersten Wettbewerbs für die Nordischen Botschaften waren wir 1995 bis 1999 sehr oft dort. Zu diesem Zeitpunkt waren die Diskussionen um den Umgang mit den Naziprunkbauten – allen voran die ehemalige Reichsbank – aktuell. Dafür gab es Pläne von Abriss bis zur Neunutzung durch einen neutralen Zweck. Schlussendlich ist dort dann das Außenministerium eingezogen, in einen Umbau von Hans Kollhoff, der interessanterweise diese Monumentalität in keinster Weise abgeschwächt hat. Das Portal und der Eingang blieben an der gleichen Stelle, also keinerlei Maßnahmen, die die vorherige Nutzung relativiert hätte. Wir waren da nicht sehr aktiv an der intensiven Diskussion beteiligt, ob und wie das möglich ist. Es hat jedoch einen Denkprozess ausgelöst, wenn die Deutsche Republik, die – zumindest im Vergleich zu Österreich – eine gute Aufarbeitung des nationalsozialistischen Erbes betrieben hat, in das Gebäude der Reichsbank, das architektonisch schon eine sehr starke Botschaft hat, ein Ministerium reingibt. Die [architektonische Botschaft] kann man nicht abstreiten, die autoritäre Staatsform ist einfach eingeschrieben in diese Architektur.
Wie soll die Bedeutung des Ortes Ihrer Meinung nach gestaltet werden?
Ganz grundsätzlich trifft das Haus, im Unterschied zu Bauten aus der Nazizeit, überhaupt keine wie auch immer geartete Aussage. Es ist einfach ein Haus aus einer anderen Zeit. In Frankreich gibt es beispielsweise in jeder mittleren Stadt ein Haus mit einer Plakette, die darauf hinweist, Napoleon hätte irgendwann einmal dort übernachtet. Das ist eine Folklore gewissermaßen – nicht wegen der Person Napoleons, sondern in Bezug darauf, aus einem nichtssagenden Haus einen historischen Ort zu machen. Wir haben das im positiven Sinne mit den Geburtshäusern aller möglichen Dichter und Musiker und sonstiger herausragender Menschen, die durch Tafeln hervorgehoben werden. Ich mache mir systematisch die Mühe, dass ich sie, wenn ich an ihnen vorbeigehe, auch lese, weil sie mich einfach interessieren. Aber das ändert üblicherweise den Bezug zu diesem Objekt nicht wirklich. Ich bin kein Anhänger von dem Glauben, dass Steine die Geschichte tragen.
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass das Haus [in der Salzburger Vorstadt] selbst gar nichts erzählen kann, weil es einfach ein Haus ist, in dem jemand gewohnt hat. Aber dass es genau dieses Haus war, in dem Hitler geboren wurde, muss man natürlich irgendwo adressieren. Die Frage nach dem Wie wurde bereits im Vorhinein von der Kommission entschieden und damit gar nicht mehr offen. Ich denke, das Thema muss in erster Linie über Kunst und Kommunikation behandelt werden. Ich glaube nicht, dass es möglich ist – vor allem langfristig – über Architektur so eine Geschichte zu erzählen.
Wir haben eine ganz ähnliche Erfahrung gemacht, als wir im Zuge unserer Recherche in Braunau waren: Das Haus hat keine Präsenz als solche, die über die Präsenz eines normalen Vorstadthauses hinausgeht. Aber natürlich wird es von anderen Personengruppen mit dieser Präsenz und Bedeutung aufgeladen.
Sie waren als Mitglied des Architekturbeirats der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) Teil der Jury. Wie wurden Sie Teil dieser Jury und hatten Sie bereits Erfahrungen mit Wettbewerben zu nationalsozialistisch belasteten Gebäuden?
Solche Wettbewerbe sind nicht sehr häufig, also nein, nicht in der Form. Ich war zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender des Architekturbeirats der BIG, die als Eigentümerin in jeden Wettbewerb ein Mitglied des Beirates schickt. Ich habe mich dafür gleich gemeldet – von den anderen Mitgliedern wollte es glaube ich ohnehin keiner machen.
Da ich mich schon davor mit dem Enteignungsprozess beschäftigt hatte, war ich bereits ein wenig gebrieft, was da auf uns zukommt.
Außer es wäre etwas, wo ich wirklich sehr überzeugt dagegen bin.
Der Wettbewerb wurde im Dezember 2019 als EU-weiter, nicht offener, einstufiger Realisierungswettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren ausgeschrieben. Waren Sie in das Bewerbungsverfahren bereits involviert? Und hat Sie die geringe Anzahl an zugelassenen Bewerber:innen überrascht?
Ehrlich gesagt, ja, ein bisschen. Wäre ich nicht in der Jury gewesen, hätte ich sicher selbst mitgemacht. Ich fand die Ausschreibung interessant, aber man muss natürlich auch erwähnen: Zu dieser Zeit war eine relativ gute Auslastung bei den Architekten gegeben – das merkt man dann immer an den Teilnehmerzahlen. Ein weiterer Grund für die geringe Zahl an Bewerbungen hat sicherlich auch damit zu tun, dass das Projekt sehr klein ist und dementsprechend das Honorar relativ bescheiden ist. Daher haben sich eher die lokalen Architekten beteiligt. Das sehe ich als einen der Hauptgründe, warum so wenige Büros am Wettbewerb teilgenommen haben. Es haben ja nicht einmal alle abgegeben, die wir ausgesucht haben. Ich glaube auch, dass manche Architekt:innen das Thema als sehr kompliziert wahrgenommen haben und sich einfach davor gefürchtet haben.
Die Hürde war Ihrer Meinung nach auch inhaltlich vorhanden und nicht nur aufgrund der Größe des Projekts?
Genau, weil angeschaut haben es sich deutlich mehr Büros als sich schlussendlich angemeldet haben. Gerade in Österreich haben viele einen großen Respekt vor dem Thema. Bei der schwachen Diskurskultur hierzulande ist es natürlich für viele auch so, dass sie Angst davor haben, irgendwas Falsches zu sagen. Daher lassen sie dann eher die Finger davon – das war schon enttäuschend.
Die Historikerkommission hatte im Vorfeld bereits eine Empfehlung für den sogenannten „historisch korrekten Umgang“ mit dem Geburtshaus und zwei Arten der Nutzung empfohlen: eine sozial-karikative oder eine administrativ-behördliche.Das Innenministerium unter Peschorn traf 2019 schlussendlich die Entscheidung für die Nutzung als Polizeistation. Kam die Frage nach der Nutzung in der konstituierenden Jurysitzung und im Vorfeld des Wettbewerbs noch einmal auf?
Ja, die Frage der Nutzung wurde aufgegriffen und sogar sehr intensiv diskutiert. Nicht zuletzt auch durch Professor Lorch aus Deutschland. Er, und auch andere, haben da ordentlich nachgestochert. In der ersten Sitzung war noch keine große Lockerheit vorhanden. Die [Auslober] hatten Angst, dass Ihnen das Projekt aus den Händen gleitet und wieder alle Termine abgesagt werden und es zu keiner Umsetzung kommt. Die wollten das im Sinne des Auftrages vom Innenministerium durchziehen. Am Ende des Tages waren alle einverstanden oder zumindest gab es einen einstimmigen Zustand, dass die Ausschreibung so – also kleine Adaptierungen wurden sicher gemacht – rausgeht, wie sie dann schlussendlich war. Eine grundsätzliche Frage, die wir auch im Beirat in der BIG immer wieder diskutiert haben – unabhängig von diesem Wettbewerb – ist, inwieweit und wann eine Jury in den Auslobungsprozess eingebunden wird.
Glauben Sie, dass es zu besseren Lösungen käme, wenn Jurymitglieder bereits in die Erstellung der Auslobung eingebunden wären?
Nein, das glaube ich nicht – ich bin ein Freund der schlanken Abwicklungen. Die Bauwerber müssen irgendwann einmal wissen, was sie wollen. Die Kultur des jeweiligen Auslobungsgremiums ist entscheidend. Die BIG hat mittlerweile eine sehr strukturierte Vorgehensweise entwickelt. Ich habe bereits mit allen Abteilungsleitern gearbeitet und kann sagen, dass sie engagiert sind, gute architektonische Lösungen und Raumprogramme zu finden.
In unseren Interviews mit der Architekt:innenschaft wurde erwähnt, dass bei den Hearings von Seiten der Teilnehmer:innen auch Kritik an der gewünschten Nutzung geäußert wurde. Waren Sie bei diesen Hearings dabei?
Bei den Hearings war ich nicht dabei. Ich persönlich habe von keiner anderen Nutzung [als der der Polizeistation] gehört, die in irgendeiner Weise kompatibel gewesen wäre mit der Enteignung. Daher habe ich das Thema nicht zu meinem Thema gemacht. Ich schließe mich grundsätzlich gerne an, wenn etwas im Raum steht, für das es zu kämpfen Sinn macht. Wahrscheinlich kommen wir später auch noch auf das Projekt mit den Bäumen am Dach zu sprechen.
Die Jurierung fand im Mai 2020 in zwei Durchgängen mit einer Abstimmung nach kurzer Pause statt. Im zweiten Wertungs- und Diskussionsdurchgang wurde laut Protokoll bei jedem Projekt der Umgang mit dem historisch belasteten Bestandsgebäude – teilweise kontrovers – diskutiert. Können Sie diese Kontroversen schildern?
Unter den eingereichten Projekten gab es nutzungsmäßig einen Ausreißer – das Projekt mit den Bäumen am Dach. Sonst haben alle das geforderte Programm umgesetzt. Es gab auch eine Beurteilung vom Bundesdenkmalamt, die hat aber nicht wirklich eine große Entscheidungsgrundlage geboten. Am Ende des Tages gab es aus meiner Sicht jene Teilnehmer:innen, die zeigen wollten, dass sie gute Architekten sind und nur ein einziges Projekt, das vordergründig auf diese Möglichkeit, ihre Handschrift einzubringen, verzichtet hat. Das war der spätere Sieger. Sie wollten nicht auf das Haus aufmerksam machen, sondern es einfach nur sauber herrichten. Die Diskussion hat sich dann relativ schnell um das Hintergebäude gedreht, um den Neubau. Dort haben viele der Beiträge versucht, persönliche Architekturvorstellungen stark zum Ausdruck zu bringen. Wir hatten einige auseinandergerissene Projekte – vorne eine Renovierung und hinten diverse Ausformungen. Die haben aber zum Diskurs, was der Ausdruck des Hitler-Geburtshauses ist, eigentlich nichts beigetragen. Es war immer das losgelöste Hinterhaus, das ja historisch nicht Bestandteil des Ensembles ist.
Wir waren uns eigentlich alle einig, dass die Bäume am Dach total interessant waren. In dieser relativ geringen Auswahl der Projekte, die eingereicht wurden, hat dieses Projekt eine Alternative gezeigt, man könnte das auch ganz anders machen.
Wie wurde der Vorschlag des Mahnmals von KABE und Springer Architekten mit dem autonom gestellten Neubau diskutiert, der damit von den Nutzungsvorschlägen abweicht?
Ich war sehr daran interessiert, das Projekt nach vorne zu bringen und es in den engeren Diskussionskreis aufzunehmen, weil es wirklich mit Abstand herausragend war. In dem Sinne, dass es nicht nur was anderes macht, sondern es war auch gut gemacht. Ich war begeistert von dem Mut, von der Art und Weise, wie dieser Ansatz zweifellos selbst ja schon ein Mahnmal darstellt. Relativ bald nach der ersten Begeisterung, ist ein großes Problem – für mich persönlich zumindest – aufgetaucht: Wenn ich dort nun wirklich ein Mahnmal errichten wollte, stellt sich die Frag: Was würde man denn von den zahllosen Künstler:innen, die da mitmachen würden, für Antworten bekommen? Ist dieser Pathos mit den Bäumen am Dach und dem mit Erde vollgefüllten Haus die gescheiteste Lösung für ein Mahnmal? Oder ist es nur deswegen die gescheiteste, weil es der einzige Beitrag war, der ein Mahnmal vorgeschlagen hat?
Ein weiterer Beitrag, der sich mit der belasteten Geschichte des Hauses beschäftigt hat und eine andere, zusätzliche Nutzung vorgeschlagen hat, stammt von PLOV + Denk Architekten. Sie schlagen ein Depot im Dachgeschoss als eine Art Archiv für alle baulichen Relikte vor, um sie der ideologischen Verwertung zu entziehen. Im Juryprotokoll fand dieser Vorschlag keine Erwähnung, beziehungsweise wurde hier nur auf die „Schwere der Giebelzone” eingegangen.
Ist das vergleichbar mit der Mitnahme von Steinen der Berliner Mauer? Holen sich die Leute dann Abbruchmaterial von dem Hitler-Haus? Die ARGE zwischen PLOV und Herrn Denk hat sehr intensiv über diese Fragen nachgedacht.
Nachdem dieser Aspekt in dem Protokoll keine Erwähnung fand, stellt sich die Frage, ob dieser erweiterte Nutzungsvorschlag überhaupt diskutiert wurde?
Das entzieht sich meiner Erinnerung. Es gibt jedoch oftmals Seitenthemen in Beiträgen, die eröffnet werden, die aber vorbeischießen. Das dürfte hier passiert sein, aber ich kann mich daran ehrlich gesagt nicht erinnern.
Sie haben die meisten Beiträge als „Renovierung” bezeichnet. Viele der Beiträge schlagen allerdings eher eine Rekonstruktion des Gebäudes in seinen baulichen Zustand aus dem 18. Jahrhundert vor. Das betrifft vor allem die Rückführung der Biedermeierfassade, aber auch die der Dachform. Wie wurde die Methode der Wiederherstellung eines vermeintlich originalen Zustands, die von vielen Teilnehmer:innen aufgegriffen wurde, diskutiert? Es handelt sich hier immerhin um die Rückführung in eine Zeit vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus.
Das ist eine sehr gute Frage! In der Diskussion – im Detail kann ich mich jedoch nicht erinnern – wurde viel darüber gesprochen. Auch schon in der Stellungnahme vom Bundesdenkmalamt ist das Thema natürlich aufbereitet gewesen, da gab es eine relativ profunde Studie. Der Zugang zu einer Renovierung heutzutage wäre, dass man sagt, die Spuren sind im Wesentlichen zu bewahren. Bei manchen Bauten ist das schwierig. Man kann aber auch etwas weggeben, was einmal hinzugefügt wurde – das ist ein sehr lebendiger Diskurs.
Bei diesem Gebäude, glaube ich, haben viele unterschwellig einen gewissen Gefallen daran gefunden, die Portallösung, die in der Nazizeit im Erdgeschoss errichtet wurde, zu entfernen. So weit zu gehen, dass man diese Anschrägung des Sockels wieder entfernt, haben glaube ich wenige gemacht. Es war wahnsinnig interessant, gewisse Elemente der Nazi-Baukultur als solche überhaupt zu entlarven, die als „normal” wahrgenommen werden. Das waren unheimlich interessante Diskussionen im Detail, aber ich muss gestehen, dass ich mich nicht mehr genau erinnern kann, wo diese bei jedem einzelnen Projekt anzuwenden waren.
Diese Doppelgiebel-Dachform war also kein übergeordnetes Wettbewerbskriterium?
Nein, der Sieger hat das aber überzeugend umgesetzt.
Sie sind in vielen Wettbewerben als Juror tätig: hat sich diese Jury von anderen Jurysitzungen wesentlich unterschieden?
Das Entscheidende bei Jurys ist für mich die Verfahrensqualität und die war hier sehr gut. Es gab keine Einflussnahmen, es gab genug Zeit, dass jeder sich äußern konnte, die Diskussionen wurden nicht abgewürgt. Es war grundsätzlich so wie jede andere ordentlich und sauber geführte Jury.
In der Jury sind alle Entschlüsse einstimmig gefallen. Wie kam es zu dieser Einstimmigkeit? Wurde diese finale Einstimmigkeit vorab beschlossen, weil es sich um ein sensibles und politisches Thema handelte?
Nein, nein, solche Beschlüsse gab es nicht. Da hat sich die Kultur und die Gesellschaft in den Jurys schon enorm verändert. Wenn ich mich an die Frühzeiten erinnere, vor etwa 20, 25 Jahren war es relativ normal, dass es Kampfabstimmungen gab – acht zu sieben usw. Das waren aber auch noch solche Situationen, wo die Architekt:innen sehr angriffig argumentiert haben.
Also wurde so lange diskutiert, bis der Beschluss einstimmig war?
Wir sind heute der Meinung, dass man sich alle Sachen miteinander ausreden kann – meistens, nicht immer. Jedem, der öfter in Jurys ist, ist klar, dass es einen Unterschied macht, wenn man sich zum Ende des Gesprächs einig wird, oder ob man sagt, nein, zwei oder drei waren dagegen. Aber einen Druck in diese Richtung gab es überhaupt nicht – und auch keine Abmachungen.
Uns ist aufgefallen, dass die Auslobungsunterlagen konsequent vermeiden, den Namen Adolf Hitler zu nennen und außer dem Wunsch der Beseitigung von Erinnerung keinen gedenkpolitischen Umgang mit dem Gebäude formulieren. Wurde diese fehlende Sprachlichkeit in der Jury thematisiert? In weiterer Folge zeichnen sich viele der Wettbewerbsbeiträge durch naive bis skandalöse Formulierungen aus: beispielsweise betitelt Marte.Marte das Gebäude auf seinem Plakat als „Führer-Geburtshaus“.
Interessant! Nein, das wurde garantiert nicht besprochen. Ich habe diese Passage nicht gesehen oder gehört. Wenn, dann wäre das sicher ein Thema gewesen.
Wir zitieren kurz aus dem Juryprotokoll, in dem es über das Siegerprojekt heißt: „[...] Der Doppelgiebel (...) kommt der Intention der Purifizierung und der Einordnung in den Kontext des Stadtbildes mit der geforderten Neutralisierung besonders nahe. [...]“ Es war auch diese Form der Sprachlichkeit, nämlich der Wunsch nach einer „Purifizierung“ und „Neutralisierung“, die uns als Verein aktiv werden lassen hat. Können wir für dieses Gebäude wirklich eine glatte, bruchlose bauliche Lösung andenken, die die NS-Zeit ungeschehen machen will? Wie wichtig war das Kriterium der Beseitigung von Erinnerung in der Bewertung der Beiträge?
Es ist einfach eine ordentlich gemachte Generalsanierung notwendig. Das Haus hatte ja vorher auch nichts Besonderes an sich – es war ja auch kein Nazi-Treffpunkt. Das Hauptanliegen – damals noch unter Schwarz-Rot, wo die Enteignung gemacht wurde – war, dass man verhindert, dass irgendwelche Leute in diesem Haus irgendetwas machen. Deswegen war in der
Vergangenheit diese soziale Einrichtung [Lebenshilfe] drinnen, wo man die Kontrolle darüber hatte, wer ein- und ausgeht. Und es sollte definitiv kein Wirtshaus werden, wo sich dann eventuell bestimmte Gruppen treffen, um dort gemeinsam zu feiern. Das war also ein sehr pragmatischer Zugang. Aber das Haus an sich hat überhaupt nie irgendeine Art von Erinnerungen getragen – also visuell. Im Grunde genommen sind das relativ komplizierte Worte dafür, dass man auch sagen hätte können: Es soll so bleiben. Weil es ein belangloses, ein ganz normales Vorstadthaus ist. Daher war ich auch immer ein Unterstützer dieser Linie. Denn was immer man dort für ein besonderes Haus errichtet, wird es auf jeden Fall vielleicht ein paar Amerikaner anlocken, aber in erster Linie wird es Nazis anlocken – vor allem wenn man es auch noch so anti-Nazi-mäßig gestaltet. Und da sind wir jetzt noch einmal bei dem Mahnmal [von KABE Springer]: Das hatte einen gewissen Walhalla-Charakter, sodass man nicht genau weiß, in welche Richtung das wirkt, das kann man bei einem Kunstwerk nur bis zu einem gewissen Grad festlegen, vor allem bei so monumentalen Sachen. Das kann man in viele Richtungen nutzen und deuten.
Abschließend komme ich noch einmal zur Reichsbank bzw. zum Außenministerium zurück. Hier ging die Umdeutung durch den Einzug des Außenministeriums in die gute Richtung. Auch in Italien hat das funktioniert, wo die ganzen Faschistenbauten heute zum Teil recht gut genutzt werden. Auf der anderen Seite möchte man es nicht riskieren, dass ein demokratisch gemeintes Gebäude in seiner Deutung womöglich auf die andere Seite kippt. Das wäre besonders schlecht. Aber das ist nur Spekulation, das war in der Jury nicht wirklich das Thema.