Sehr geehrter Herr Lorch, wir suchen das Gespräch mit Ihnen, um die Hintergründe des Wettbewerbs zur Umgestaltung des Geburtshauses von Adolf Hitler zu beleuchten. Sie waren geladenes Jurymitglied der Kammer der Ziviltechniker:innen, Architekt:innen und Ingenieur:innen für den Wettbewerb zur Umgestaltung des Gebäudes Salzburger Vorstadt 15 – wie der Realisierungswettbewerb offiziell hieß. Warum denken Sie, hat man Sie dazu eingeladen?
Ich war in diesem Fall der einzige Internationale in der Jury und die Anfrage vonseiten des Auslobers hat sich bezogen auf meine Beschäftigung mit der „vierten Dimension“. Mit der Aufgabe – im engeren Kontext – von Zeit und Architektur. Als Architekt habe ich in diesem Kontext doch relativ kontinuierlich Antworten gesucht.
Mussten Sie abwägen, ob Sie die Einladung zur Teilnahme an der Jury annehmen?
Man hat davor eigentlich nur vom Projekt in Braunau, Salzburger Vorstadt, gelesen und man verknüpft Braunau mit diesem – wohl bekanntesten – Haus der Stadt. Die Vorgeschichte war eigentlich Teil des Feuilletons. Sie war mit all ihren Wendungen, die es im Vorfeld gegeben hat, die letztlich zu diesem Wettbewerb geführt haben, bekannt. Ich habe zugesagt, weil ich glaube, man kann das verantworten, in diese Jury zu gehen.
Hat sich die Jury bei diesem doch sehr besonderen Verfahren von anderen Jurys unterschieden, in denen Sie involviert waren?
Im Normalfall gibt es bei einer Kunst- oder bei einer Architekturjury ein Framing, das relativ klar ist und das auch verbindlich ist. Ich sage eine „normale Jury“, denn das war eine besondere Jury. In diesem Fall war das Framing nicht so klar: Der Vorgeschichte, die ich jetzt nicht zu erwähnen brauche, ist eine lange Debatte vorangegangen. Aus dieser Vorgeschichte heraus entstanden Bedingungen – ob glücklich oder nicht glücklich, möchte ich jetzt nicht sagen.
Ich möchte hier nicht über einzelne Inhalte der Jury berichten – man trägt das Ergebnis der Jury nach außen. Man kann exemplarisch sagen, dass es durchaus nicht nur konsensuale Meinungsbildungen gab.
Da war zum einen die Thematik, bestimmten Gruppen den Zugriff auf das Haus zu verwehren. Dass diese Aufgabe vom österreichischen Staat übernommen wurde, war ja keine unkluge Entscheidung. Ob im Vorfeld die Enteignung mit dieser Zweckbindung glücklich war, das überlasse ich Ihnen. Das waren weder Voraussetzungen für den künstlerischen, noch den inhaltlichen Ansatz, sondern die Voraussetzung, um den Zugriff auf dieses Haus zu bekommen, um die Politik der falschen Zeichen zu vermeiden.
In der eigentlichen Befassung in der Jury gab es natürlich zuerst die Durchsprache der Auslobung, in der relativ viel vorgeschrieben war. Und natürlich die Frage, was ist richtig an dieser Aufgabe? Die Debatte, die damit zusammenhängt, ist eine ganz wichtige. Gerade hinsichtlich der Frage, was richtig oder falsch ist – diese Frage beginnt schon in der Auslobung.
Das österreichische Innenministerium unter Minister Sobotka hatte 2016 eine Kommission zum „historisch korrekten Umgang“ mit dem Geburtshaus von Adolf Hitler einberufen. Der Abschlussbericht dieser Kommission hat die später folgende Auslobung im Wesentlichen bestimmt, indem er zwei Nutzungsarten formuliert und empfiehlt: erstens eine sozial-karitative Nutzung, die geeignet sei, um die Symbolkraft des Ortes zu brechen, zweitens eine administrativ-behördliche, die gut geeignet sei, den Enteignungszweck zu erfüllen. Das Innenministerium unter Minister Peschorn trifft 2019 die Entscheidung, das Gebäude als Polizeistation zu nutzen. Halten Sie diese Entscheidung für angemessen hinsichtlich seiner gedenkpolitischen Dimension?
Eine Entscheidung, die wir immer wieder in Frage gestellt haben, ist, inwieweit der Realisierungswettbewerb selbst das richtige Verfahren war – gegenüber der Möglichkeit eines offenen Ideenwettbewerbs. Wie sehen Sie grundsätzlich die Ausschreibung von Ideenwettbewerben und das Eröffnen einer breiteren Debatte, wenn es um die Gestaltung und die Nutzung von belasteten Orten geht?
Der Fokus der Auswahlkriterien der Teilnehmer lag auf deren Realisierungsfähigkeit, doch diese sehe ich in dem Fall sogar als nachrangig. Das zweite Kriterium war die Fähigkeit der Qualität in Umbaufragen. Beide Kriterien sind eigentlich sekundär. Gewünscht hätte ich mir – egal ob es ein Ideen- oder Realisierungswettbewerb wäre –, dass die wesentlichen Auswahlkriterien der Teilnehmer zumindest um ein Kriterium ergänzt worden wären: Die wesentliche Frage in diesem Haus wäre der Umgang mit der vierten Dimension der Architektur, mit der zeitlichen Dimension, gewesen. Gibt es eine angemessene – falls man da überhaupt von „angemessen“ sprechen kann – Befassung mit dieser Zeitschicht, bei dieser historischen Altlast?
Diese inhaltliche Befassung hat jedoch in den Auswahlkriterien keine Rolle gespielt. Es wäre gut gewesen, wenn in dem Kreis der geladenen Bewerber mehr Expertise zum Thema vierte Dimension, Erinnerungskultur, vertreten gewesen wäre. Ich sage nicht ein Denkmalspezialist, sondern einfach mehr Befassung. Und man sieht das an den Ergebnissen, wie wenige das zum Thema machen.
Gab es für Sie die Möglichkeit, diese Kritik an den Auswahlkriterien an den Auslober zurückzugeben oder diesen in der Jurierung mehr Bedeutung beizumessen?
Die waren zu dem Zeitpunkt bereits verabschiedet. Im Prinzip war das ein Schritt, der davor lief und man hat an Bewerbern das ausgewählt, was da war. Aber ich glaube, man hätte das Feld der Bewerber über die Kriterien etwas anders setzen können. Und das hätte letztlich eine andere Auswahl an Teilnehmenden ergeben. So hätte man noch mehr Potenzial, noch mehr Lösungen im Ergebnis erreicht. Im Wettbewerb kann man nur das prämieren, was abgegeben wird.
Für die zweite Phase des Wettbewerbs, für die man sich bewerben musste, waren fünfzehn Architekturbüros geladen – davon haben zwölf dann einen Beitrag eingereicht. Das waren vorwiegend österreichische Büros, somit gab es ein sehr überschaubares, wenig internationales Teilnehmerfeld. Wäre eine größere internationale Resonanz bei der gedenkpolitischen Bedeutung des Wettbewerbs Ihrer Meinung nach wichtig gewesen?
Bemerkenswert ist, dass es kaum teilnehmende Architekt:innen gab, deren Expertise im Feld der Gedenkarchitektur lag – aber das ist eigentlich auch nicht das richtige Wort.
Gedenkarchitektur, Mahnmal oder Geburtshaus sind als Begriffe eigentlich falsch, weil an was gedenkt man eigentlich dort? Gedenken wäre ja genau die falsche Botschaft. Deswegen habe ich auch gerade um Begrifflichkeiten gerungen und deswegen vielleicht den sperrigen Begriff von Architekten, die sich mit dieser Frage der vierten Dimension im Sinne von Narrativ schon mal auseinandergesetzt haben, untergebracht.
Es war ein Realisierungswettbewerb – vielleicht braucht es an dieser Stelle Denkmalwettbewerbe, jetzt verwende ich selber den Begriff. Die Debatte um das Denkmal – aber es ist kein Denkmal. Die Debatte um diese schwierigen Projekte in der vierten Dimension, in der Zeitlichkeit, ist gleich wichtig wie die Realisation. Davon bin ich inzwischen überzeugt. Es gab den Zwang, dass innerhalb eines Zeitfensters eine Lösung sichtbar werden sollte. Die Zeit davor hingegen hat man nicht genutzt, indem man es zwei Generationen lang anders gesehen hat.
Die Auslober, das haben Sie auch schon angedeutet, sind vermutlich mit einem ganz anderen Interesse in diesen Wettbewerb reingegangen.
Eine soziokulturelle Nutzung könnte ich mir eher vorstellen: den Ort zu öffnen als Bildungs- und Diskussionsort. Es gibt eine Initiative in Braunau für ein Haus der Verantwortung, die sich auch fragt, ob der Ort generell anders benannt werden kann bzw. den Namen des Nachbarorts annehmen könnte. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Bewohner:innen Braunaus nicht mehr ständig mit Hitler assoziiert werden möchten. Das löse ich aber nicht, indem ich in das Geburtshaus eine Law-and-Order und auch „Fetisch“-Organisation (ich meine die ganze Waffen-, Uniform- und Gewalt-Faszination) wie die Polizei einziehen lasse. Sondern ich müsste mich damit befassen: Was heißt der Umgang mit dem Ort, mit dem Namen, mit der Definition für den Alltag der dort lebenden Menschen? Und was heißt das als Quelle für eine ständige Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit und ihren Verbrechen.
Aber noch einmal zu den Auslobungsunterlagen, die eigentlich keine Sprache für den gedenkpolitischen Umgang mit dem Gebäude gefunden haben. Diese Auslassung hat dazu geführt, dass die Teilnehmer:innen – über ihre architektonischen Beiträge hinaus – aufgefordert waren, eine eigene Sprache zu finden, insbesondere in den einzureichenden Erläuterungstexten. Hier gab es dann Texte, die Hitler mit keinem Wort erwähnt haben und damit das Nicht-Thematisieren als Strategie der Auslobung quasi fortgesetzt haben. Andere Einreichungen sind durch naiven oder skandalösen Umgang mit Sprache aufgefallen. Hervorzuheben ist hier vor allem ein Plakattitel des Gewinnerbeitrags von Marte.Marte, die das Gebäude als „Führergeburtshaus“ bezeichnet haben und von der „traurige[n] Berühmtheit der Salzburger Vorstadt 15“ sprechen. Da gibt es einige Dinge zu entdecken. Wie bewerten Sie die Sprachlichkeit der Beiträge?
Es ging ja nicht darum, eine Gedenktafel an das Haus zu machen.
Also zuerst einmal hat die Conclusio des Entwurfes aus der inhaltlichen Annäherung bei vielen Arbeiten gefehlt, was ich weit höher gewichte als die Tatsache, dass eine Reihe von Erläuterungsberichten besser nicht geschrieben worden wären. Was sich gezeigt hat, ist, dass die eigentlich weit weg waren vom Thema – obwohl überwiegend gute Architekten. Das Wesentliche in der Priorisierung war, eben nicht nur eine nette Architektur dort hinzusetzen – das ist ja auch kein nettes Thema – sondern eine Position zu diesem Ort, Unort, Geburtshaus zu finden, das nicht zu Ehren des dort Geborenen steht. Das ist mir eigentlich viel wichtiger, als dass Begrifflichkeiten nicht richtig verwendet werden. Wenn man sich so einer Aufgabe über die bauliche Abwicklung und über die Konstruktion oder nur über eine Morphologie annähert, und nicht über das Narrativ, dann zeigt sich das im Ergebnis, im Entwurf.
Man wünscht sich eigentlich einen sprechenden Entwurf, der in diesem Fall unmissverständlich sprechen muss. Und das gerade bei Denkmalfragen, einem Feld, wo es in der Mehrdeutigkeit und der falschen Deutung unendlich viele Möglichkeiten und nur sehr wenige richtige Antworten gibt. Ich habe übrigens eine Arbeit gesehen, die diese inhaltliche Annäherung in bester Weise durch eine Umdeutung geschafft hat.
Vonseiten der Auslobung wurde die „Beseitigung von Erinnerung“ gefordert. In den Auslobungsunterlagen stand: „durch die äußerliche Umgestaltung des Bestandsgebäudes soll die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus beseitigt und dem gesetzlichen Auftrag aus dem Bundesgesetz über die Enteignung der Liegenschaft entsprochen werden“. Entsprechend waren die Beurteilungskriterien der zweiten Runde der Umgang mit der historischen Bestandsfassade und der Erhalt der inneren historischen Bausubstanz.
In Bezug auf das Siegerprojekt liest sich die Beurteilung aus dem Juryprotokoll dann wie folgt: „Der Doppelgiebel der geputzten Lochfassade kommt der Intention der Purifizierung unter Einordnung in den Kontext des Stadtbildes mit der geforderten Neutralisierung besonders nah.“ Es wurde sich also für eine bruchlose, glatte Lösung entschieden. Andere Beiträge, die die NS-Zeit thematisieren, indem sie bauliche und zeitliche Brüche zeigen, konnten nicht überzeugen. Kann man sagen, dass in der Bewertung der Beiträge das Kriterium der Beseitigung von Erinnerung übergeordnet war?
Es gibt ja eine Reihe von künstlerischen Auseinandersetzungen, die mit dem Thema Bruch und Zerstörung arbeiten, und mit Verlaub, die kann man auch mehrdeutig lesen. Was wird da zerstört? Ist das die richtige Sprache? Die Auseinandersetzung mit dieser Frage in der Jury war richtig. Ich sehe das Wort Neutralisierung nicht so negativ, wie Sie das in Ihrer Frage angedeutet haben. Es geht nicht um das Verschwinden von Erinnerung. Gleichzeitig ging es, ohne eine theoretische Diskussion zu führen, so weit, dass die maximale Neutralisierung die Beseitigung des Hauses ist. Dann entsteht eine Leerstelle, die der größtmögliche Bruch ist. Ich würde nicht so weit gehen, dass man sagt, beim Neutralisieren geht es per se um eine Beseitigung von Geschichte.
Dieses Unfassbare, dass in diesem Haus der Jahrhundertverbrecher geboren ist – noch unschuldig, aber er ist da geboren – ist mit seinem Heimatort, mit seinem Geburtsort verknüpft. In dem Haus wurde von Martin Bormann, dem Sekretär von Hitler, ein Gedenkort eingerichtet. Nach 1945 wurde es eigentlich banal oder neutralisierend weitergenutzt. Ob das jetzt thematisiert werden hätte müssen – da gab es keinen Beitrag in die Richtung.
Wenn ich an Nürnberg denke – das ist zwar kein Gedenkort, sondern ein Dokumentationszentrum, im sogenannten Reichsparteitagsgelände – Günther Domenig hat da einfach reingeschnitten im wahrsten Sinne des Wortes. Und auch eine entsprechende Architektur abgeliefert. Aber man kann nur das prämieren, was da ist.
Viele der Beiträge schlagen eine Rückführung des Gebäudes in das 18. Jahrhundert vor und befinden sich damit direkt auch in der Rekonstruktionsdebatte. Konkret wird vorgeschlagen, die ehemalige Biedermeierfassade in ihrer Dachform mit den zwei Giebeln wiederherzustellen – so wie es auch schon in der Auslobung angeregt wird. Wie wurde die Methode der Rekonstruktion eines vermeintlichen Originalzustands, die von vielen Teilnehmer:innen aufgegriffen wurde, in der Jury diskutiert?
Und man hätte es noch künstlerisch überhöhen können und vorschlagen können, die Stollen von Gusen wären der ideale Entsorgungsort für die baulichen Reste gewesen, weil man noch nicht mal die Mauerpicker dort haben möchte für diese Steine, die so auch noch ihre Verwertung gefunden hätten. Aber es ist nicht meine Aufgabe, zu entwerfen. Ein künstlerisches Projekt, das die Sache wirklich materiell beseitigt hätte, diese Altlast, das wären konzeptionelle Ansätze. In einer Arbeit sah ich einen konzeptionellen Ansatz.
Neben dem Projekt von KABE und Springer Architekten, das mit dem Sonderpreis ausgezeichnet wurde, haben wir auch in dem Projekt der ARGE PLOV-Denk einen Ansatz gefunden, der sich mit den baulichen Relikten des Umbaus befasst: Das Team schlägt ein Depot im Dachgeschoss, ein Archiv für alle anfallenden baulichen Relikte vor, um sie ideologischer und ökonomischer Verwertung zu entziehen. Im Juryprotokoll wird dieser Beitrag allerdings nicht erwähnt.
Das habe ich nicht als konzeptionellen Beitrag verstanden. Denken Sie an die Berliner Mauer. Es gibt keine Mauerpicker, es gibt keine Steine, die ich mitnehmen kann. Die ganze Altlast im Dachboden zur Reliquie zu erklären, kommt für mich einer Überhöhung gleich. Wir haben das auch diskutiert, es war in der konsensualen Abwägung aber nicht die entscheidende Position, auch wenn es eine Position war. Dieser Beitrag hatte definitiv andere Schwächen, die ihn auf diesen Platz gesetzt haben.
Zum Beitrag den Sie vorher vermutlich im Sinn hatten, nämlich dem der ARGE KABE-Springer: Dieser schlägt vor, dem Geburtshaus die Nutzung zu entziehen und die ausgeschriebene Polizeistation in einem separat stehenden Neubau unterzubringen. Das Geburtshaus wird zum Mahnmal erklärt und gestaltet. Wie wurde dieser Vorschlag, der ja als einziger eine gedenkpolitische Idee für den Ort formuliert, in der Jury diskutiert?
Er wurde doch auf den zweiten Platz gesetzt.
Auf den Anerkennungsplatz.
Es gab eine nicht-mehrheitsfähige Position, die gesagt hat, es ist die einzige Arbeit, die eine richtige Antwort auf die Nutzung gegeben hat, indem sie die Polizeistation nach hinten gepackt hat. Die haben einen klugen Vorschlag gemacht: Vorne, das eigentliche Haus, wird zu einer Art Pflanztrog, es wird zum nicht nutzbaren Haus. Ich interpretiere die Bäume nicht so, als dass da Gras drüber wächst. Ich interpretiere sie auch nicht als Hoffnung. KABE und Springer beginnen vom Bild. Ich lese dieses Zumauern nicht nach deren Worten, sondern ich versuche mir selbst ein Bild zu machen. Das ist mir viel wichtiger, wenn ich in einer Jury bin. Man steht vor dem Haus, da ist ein Trog, das Dach wurde weggenommen und damit ist das Haus unbenutzbar gemacht.
Es ist von beiden Positionen her ein sehr kluger Beitrag, der die vierte Dimension wohl als einzige Arbeit in einer klugen Weise interpretiert. Ich hätte gerne viel mehr solche Arbeiten gesehen. Das wäre eine Arbeit, die man sich weiter vorne gewünscht hätte, aber in einer Jury brauchen Sie Mehrheiten. Ich war der Meinung, dass das Ergebnis des Wettbewerbs nicht das Ende, sondern erst der Anfang der Diskussion ist.
Es gab mehrere Architekturbüros, die sich entschieden haben in der zweiten Phase nichts abzugeben – und sich damit der Debatte in gewisser Hinsicht auch entzogen haben.
Ich war nicht Vorsitzender der Jury, das ist ja bekannt.
Und insofern ist es wichtig, dass wir als Architekten und Architektinnen bei diesen Fragen nur versuchen können, Position zu beziehen, indem wir in unserer Sprache der Zeichnungen, der Entwürfe, Beiträge liefern und sagen, unser Beitrag ist aufgrund dieser und jener Begründung der bessere. Marte.Marte sind formal gute Architekten, die werden auch die Neutralisierung hinkriegen. Aber die haben überhaupt keine Annäherung an die engere Fragestellung, sie liefern letztlich zur Denkmaldebatte keinen Beitrag – da muss man einfach sagen, das ist nicht deren Thema. Der Entwurf war der beste von denen, die sich mit der Neutralisation beschäftigt haben, aber eben nicht der beste, der sich mit der Erinnerung und der Denkmal-Debatte befasst hat.
Es ist eine Frage, wie überzeugt oder wie sicher sind wir mit unseren Lösungsansätzen und wie interessiert sind wir eigentlich an der Meinung unseres Gegenübers? Das meine ich mit Diskurslust.
Kann man den komplexen historischen Fragestellungen wie sie das Geburtshaus in Braunau aufwirft, ausschließlich mit baulichen Lösungen im Rahmen eines Realisierungswettbewerbes gerecht werden? Inwieweit müssten sich Wettbewerbe zu historisch belasteten Orte von anderen Wettbewerben unterscheiden, um ihrer gesellschaftlichen Dimension gerecht zu werden?
Viele Jurys sind zu groß, diese hätte aber im Nachgang breiter aufgestellt werden können – das heißt über den engeren fachlichen Kontext hinaus – um eine breitere Debatte zu führen. Vielleicht hätten wir, wenn man den Wettbewerb für Künstlerinnen und Künstler geöffnet hätte, noch mehrere konzeptionelle Antworten gefunden oder erwarten können.
Der Wettbewerb für den Börneplatz in Frankfurt am Main führte Ende der 1980er zur ersten Denkmaldebatte in Deutschland. Das war ein Kunstwettbewerb, mit 249 internationalen Teilnehmern. Es wurden drei zweite Preise vergeben: An einen weltbekannten Architekten – Hans Hollein –, an den Bildhauer Ansgar Nierhoff und an irgendwelche Studenten, die niemand gekannt hat, um die mögliche Breite aufzuzeigen. Und die Studenten [Anm.: Nikolaus Hirsch, Wolfgang Lorch und Andrea Wandel] konnten nur deswegen mitmachen, weil jeder Künstler ist, also jeder dort abgeben konnte. Das Ding war schon ein Politikum. Aber eine mutige Jury kann, selbst im Realisierungswettbewerb, Arbeiten rausschmeißen und sagen, da war keine dabei oder eine konzeptionelle Arbeit mit dem Sonderankauf versehen und diese dann beauftragen. Aber derartige Jurys hängen von Mehrheiten ab. Ein oder zwei einsame Rufer reichen nicht.