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Die Marginalspalte verknüpft das Gespräch mit Dokumenten und vertiefenden Informationen aus dem Archiv.
Diskurs Architektur

Gegenstand des Architekturwettbewerbs war das Gebäude in der Salzburger Vorstadt 15, das Geburtshaus von Adolf Hitler. Es handelt sich hier um einen beispiellosen Ort, der ein inszenierter Täterort war und eine zentrale Bedeutung innehat. Braunau wird immer damit verbunden sein, dass Hitler dort geboren wurde. Wie wurde Ihnen dieser Ort bewusst?

Gabu Heindl

Ich würde eigentlich die Frage nach dem inszenierten Täterort differenzieren wollen. Wer hat denn diesen Ort wann inszeniert?

1938
Am 25. Mai 1938 erwirbt Martin Bormann, Reichsleiter der NSDAP, im Auftrag der Partei das Gebäude von Josef und Maria Pommer nach längeren Verhandlungen zum vierfachen Marktwert (150.000 Reichsmark). Betreut wird das Haus infolge der Kreisleitung der NSDAP Braunau. Die Übernachtungszahlen von Tourist:innen steigen um fast 250 Prozent an.
1943
Das Gebäude nach der Umgestaltung des Sockelbereichs, nach 1943
Zum 54. Geburtstag von Adolf Hitler wird das von der NSDAP als „Führer-Geburtshauses“ bezeichnete Gebäude feierlich eröffnet. Die Umbauarbeiten betrafen den Sockelbereich und Teile der Fassade sowie die Innenräume. Auch das Hinterhaus wurde in diesem Zuge abgebrochen. Im Erdgeschoss des Vorderhauses wird fortan die öffentliche „Volksbücherei Braunau“ betrieben. In den beiden Obergeschossen finden Propaganda-Ausstellungen statt.
DA

Als das Haus 1938 von Martin Bormann im Auftrag der NSDAP gekauft wurde, befand sich darin das Gasthaus der Familie Pommer. Nach dem Kauf wurde darin ein Hitler-Geburtszimmer eingerichtet – das war inszeniert, das konnte man besuchen. Der Geburtstag von Adolf Hitler war damals ein Feiertag, an dem es bei diesem Haus auch große Feierlichkeiten gab. Wir haben uns anfänglich gefragt: Handelt es sich bei dem Haus um einen Täterort? Wie sehen Sie das?

Gabu Heindl

Wir haben uns das im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Wettbewerb auch gefragt. Ich fände es problematisch, dem Geburtshaus das Etikett Täterort zuzuschreiben, weil Hitler dort geboren ist. Aber er ist danach zum Täterort geworden. Ein Kind an sich ist einfach nur ein Kind und ist per Definitionem noch kein Täter. Wir würden die ganze Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis weiter schreiben, auch an ihren Personenkult anknüpfen, wenn wir schon die Geburt eines Kindes als Bestandteil einer Täterbiografie beschreiben wollten, der ganz von dieser Täterschaft definiert ist. Aber natürlich ist es ein Täterort im Sinn der späteren Inszenierungen als Taten bzw. Untaten, bis heute. Das Reden von Täterschaft, das – ob affirmativ, verleugnend oder vermeintlich kritisch – mit der Faszination spielt und danach agiert, wer dort geboren ist:

Inszenierung als Geburtshaus
Das [Reden von Täterschaft] macht aus dem Hitler-Geburtshaus einen vielleicht komplizierteren Täterort als andere es sind, an denen ja tatsächlich nationalsozialistische Gewalt gegen Opfergruppen ausgeübt wurde. Es geht also um die Geschichte danach: nicht um den Moment der Geburt, sondern darum, wie das Haus danach inszeniert und instrumentalisiert wurde.
DA

Was bedeutet dieser Ort in Ihren Augen? Und wie soll seine Bedeutung in Zukunft gestaltet werden?

Gabu HeindlNeutralisierung
Ich denke, der Ort kann nicht „neutralisiert“ werden, so wie es in der Ausschreibung für den Wettbewerb formuliert wurde. Denn man würde nicht nur die Geburt Hitlers neutralisieren, sondern man würde auch neutralisieren, was mit dem Haus danach geschehen ist und warum es zu einem intensiv diskutierten Ort geworden ist. Es sollte alles denkbar andere passieren, als dass man ihn mit einer Polizeistation zu „neutralisieren“ versucht.
Jörg Springer
Mir war ehrlich gesagt nicht klar, dass die Auslobung des Wettbewerbs geradezu explizit – wenngleich mit einigen argumentativen Schleifen – die Auslöschung dieses Ortes als Erinnerungsort gefordert hat. […] Als wir uns mit dieser Aufgabenstellung beschäftigt haben, war mir sehr schnell klar, dass wir diesem Anliegen der Auslobung so nicht entsprechen würden können.
Und dass das ökonomisch möglicherweise nachteilig ist für den Architekten, der Geld in so ein Ding investiert. Aber ehrlich gesagt, dafür ist es dann auch zu wichtig, dort etwas zu tun. Allerdings sehen das, wie gesagt, ganz offensichtlich die meisten anderen Kollegen anders. Und die werden Ihnen wortreich erklärt haben, warum das alles gut ist, so wie es ist.
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DA

Sie haben sich in diversen Arbeiten mit verschiedenen belasteten Orten oder auch Themen auseinandergesetzt. Wie ist Ihre Wahrnehmung zum offiziellen Umgang, zum Umgang des Bundes mit diesem belasteten Ort?

Gabu HeindlPolizeistation
Der Umbau ist ein sehr deutlicher Versuch, das Problem loszuwerden, indem das Gewaltmonopol, das der Staat hat, beinahe noch einmal verbildlicht wird, indem die Polizei dort einziehen soll. Mit dem perfiden Argument, dass damit dann die Hüter des Gesetzes selbst vor Ort wären.

Im selben Moment müsste es aber eine intensive Auseinandersetzung des Bundes damit geben, in welcher – zum Teil – Nähe zu rechter Politik und rechten Ideologien die Polizei selbst steht. Ohne eine intensive Auseinandersetzung damit, wofür die Polizei leider auch steht, etwa für praktizierten Alltagsrassismus, kann das nicht gehen. An dem Ort zeigt sich noch viel deutlicher, wie unreflektiert, wie unkritisch mit diesem Gewaltmonopol umgegangen wird.

Ich denke, dass es in Österreich und Deutschland sehr unterschiedliche Formen der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit gibt – ob es sich um Opfer oder Täter handelt. Eine im Rahmen von geschichtspolitischen Diskursen produktive Perspektive ist das Plädoyer für eine Aktualisierung der Geschichte mit gegenwärtigen Erfahrungen und zugleich mit der ganz klaren Haltung, dass es mit dem Holocaust keine Vergleichbarkeit gibt. Man kann den Nationalsozialismus und Holocaust nicht in einer Skala mit heutigem Rassismus abwägen. Aber wir können nach Formen dessen suchen, was das Erinnern für uns heute heißt. Was gibt es heute für Rassismen, Antisemitismen, was gibt es für Diskriminierungsformen, für Gewaltformen in der Gesellschaft, ohne dabei einen direkten Vergleich ziehen zu wollen. Die Polizei, wie sie zur Zeit besteht, ist dafür, meiner Meinung nach, eine wenig taugliche Position.

DA

Das österreichische Innenministerium unter Wolfgang Sobotka hat 2016 eine Kommission zum „historisch korrekten Umgang” mit dem Geburtshaus von Adolf Hitler bestellt. Diese Kommission hat zwei Nutzungsarten empfohlen: erstens wurde die sozial-karitative Nutzung als geeignet angesehen, um die Symbolkraft des Ortes zu brechen. Zweitens die administrativ-behördliche Nutzung, die gut geeignet sei, den Enteignungszweck zu erfüllen. Halten Sie die Entscheidung des interimistischen Innenministers Peschorn, das Gebäude als Polizeistation zu nutzen, für angemessen hinsichtlich der gedenkpolitischen Dimension des Gebäudes?

Gabu HeindlKommissionsbericht
Grundsätzlich ist schon die Frage nach einem „historisch korrekten Umgang” eine absurde Frage. Das zeigt sich auch in dem Moment, wo als Ergebnis zwei verschiedene Zugänge als historisch korrekt bezeichnet werden. Damit wird klar, dass es selbstverständlich nie um den einen Umgang gehen kann.
Gedenkpolitischer Umgang
Ich würde es am allerwichtigsten finden, dass bei dem Haus nichts eingefroren und damit abgeschlossen wird, sondern dass es die Möglichkeit gibt, und damit auch den Blick darauf gibt, dass sich die Gesellschaft mit dem Ort, der Wohnung, in der eine Figur wie Hitler geboren ist, auseinandersetzt. Und weiters geht es um die Frage, wie wir das in unterschiedlichen Formen der Historisierung thematisieren würden und den Zugriff darauf auf eine demokratische Art und Weise offenhalten können.
Franz Knauer
Wir sind Architekten, sprich: wir wollen bauen. Es gibt verschiedene Fachleute – zu denen zählen wir nicht – die sich im Vorfeld überlegen, was ist das geeignete Medium, das geeignete Format?

Ich denke, es war richtig, wie die Auslober an die Sache herangegangen sind – auch mit der vorgeschalteten Historikerkommission, die sozusagen den theoretischen Überbau zur Verfügung gestellt hat. Die formale Struktur an sich hat aus unserer Sicht gepasst, sonst hätten wir uns auch nicht beworben.

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Eine soziokulturelle Nutzung könnte ich mir eher vorstellen: den Ort zu öffnen als Bildungs- und Diskussionsort. Es gibt eine Initiative in Braunau für ein Haus der Verantwortung, die sich auch fragt, die Stadt generell anders benannt werden kann bzw. den Namen eines Nachbarorts annehmen könnte. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Bewohner:innen Braunaus nicht mehr ständig mit Hitler assoziiert werden möchten. Das löse ich aber nicht, indem ich in das Geburtshaus eine Law-and-Order und auch „Fetisch“-Organisation (ich meine die ganze Waffen-, Uniform- und Gewalt-Faszination) wie die Polizei einziehen lasse. Sondern ich müsste mich damit befassen: Was heißt der Umgang mit dem Ort, mit dem Namen, mit der Definition für den Alltag der dort lebenden Menschen? Und was heißt das als Quelle für eine ständige Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit und ihren Verbrechen? Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass das Geburtszimmer eines späteren Diktators zum Teil bis heute derart verherrlicht wird? Was ist das für ein Personenkult, was für eine absurde Auseinandersetzung mit einem Kind, das dort geboren wurde?

Ich persönlich fand es wirklich interessant, dass in dem Haus davor ein Gasthaus war. Ich finde nämlich das Gasthaus als einen Ort, wo Dinge diskutiert, verhandelt werden und Konflikte entstehen und auch ausgetragen werden, durchaus anknüpfenswert. Es war klar, dass das in der Form in der Ausschreibung nicht gewünscht war, sich überhaupt einmal auf die Geschichte davor zu beziehen – und auch auf die verschiedenen Phasen der Geschichte danach. Das ist eigentlich das Bedauerliche bei dem Wettbewerb, dass eine so eindeutige Programmierung vorgeschlagen wurde und damit eine differenzierte Auseinandersetzung mit der breiteren Geschichte des Orts ausgenommen war.

DA

In der Kommission waren viele Personen aus dem Innenministerium, dazu unter anderem Clemens Jabloner, Oskar Deutsch und Oliver Rathkolb. Die Kommissionsmitglieder haben die Fragestellung nach dem Umgang mit dem Geburtshaus in einem vierseitigen PDF abgehandelt – die erste Seite ist das Deckblatt, die zweite Seite umfasst die Aufzählung der Kommissionsmitglieder. Es war ein sehr magerer Bericht. Wie sehen Sie die Arbeit der Kommission, deren Zusammensetzung und letztlich auch das Ergebnis dieser Kommissionsarbeit, das sich in einer sehr kurzen Stellungnahme niederschlägt?

2016
Eine Debatte um die künftige Nutzung des Gebäudes wird durch die Forderung des Innenministers Wolfgang Sobotka (ÖVP) angestoßen, da laut ihm keine Denkmalwürdigkeit gegeben sei: „Das Hitler-Haus wird abgerissen. Die Kellerplatte kann bleiben, aber es wird ein neues Gebäude errichtet. Das Haus wird dann entweder einer karitativen oder einer behördlichen Nutzung durch die Gemeinde zugeführt.“ („Hitlers Geburtshaus wird abgerissen“, Die Presse, 17.10.2016)
Gabu Heindl

Die Frage ist: Beruht das Magere des Berichts auf der Peinlichkeit, dass man nicht mehr sagen kann und will und dass man es deswegen so kurz und knapp hält? Oder ist die Sache tatsächlich zu wenig und zu nachlässig bearbeitet worden? Ich gehe von Ersterem aus, da das ja grundsätzlich präzise arbeitende Historiker:innen sind, aber diese wurden vom Innenministerium eingesetzt. Das, was es hier zu historisieren gilt, ist ja letztlich: Wer ist hier und heute in der Regierung? Was für ein Interesse besteht in dieser Regierung? Was für eine Vorstellung davon, wie man Probleme löst, besteht da?
Es wäre wirklich spannend, sich noch einmal genauer anzuschauen, was für ein Weltbild sich im Umgang mit dieser Situation äußert. In diesem „Neutralisieren” steckt ja der vermeintliche Versuch, dem nicht mehr Gewicht zu geben und zumindest nicht den Neonazis den Vorschub zu leisten. Das geht aber halt mit dem perfiden Umstand einher, dass man von allen möglichen und denkbaren Gruppen und Institutionen dort ausgerechnet die Polizei reinsetzen will, die allzu oft unhinterfragt eher eine Nähe nach rechts sucht als nach links bzw. zu einer offenen, egalitären Gesellschaft – und das ist ein Problem.

DA

Es handelt sich bei der Polizei auch um eine Institution, die ihre Gewaltgeschichte nicht aufgearbeitet hat. Seit 2000 leitet die ÖVP, mit den Unterbrechungen Herbert Kickl und Wolfgang Peschorn, das Innenministerium und ist damit auch alleinig verantwortlich dafür, wie das offizielle Österreich mit dem Hitler-Geburtshaus umgeht.

Gabu Heindl

Genau. Wie kommt es dazu, dass die ÖVP allein entscheidet – ohne jegliche größere gesamtgesellschaftliche Diskussion? Das zeigt sich auch in der Wahl des Formats des geladenen Wettbewerbs. Wer entscheidet über die Teilnehmer:innen dieses Wettbewerbs? Bei wem liegt hier die Entscheidungsmacht, die mit dem Gewaltmonopol Polizei antwortet?

DA

Ab den 1970er-Jahren wurde das Haus bereits durch eine sozial-karitative Organisation genutzt – durch die Lebenshilfe Oberösterreich, die darin eine Behindertenwerkstätte betrieben hat. Das Haus war in dieser Zeit in Teilen öffentlich zugänglich, weil die Lebenshilfe darin ein Geschäft betrieb. Inwieweit war der Realisierungswettbewerb selbst überhaupt das richtige Verfahren, gegenüber der Möglichkeit eines offenen Ideenwettbewerbs? Wie sehen Sie grundsätzlich die Ausschreibung von offenen Ideenwettbewerben, wenn es um die Gestaltung und Nutzung von solchen belasteten Orten geht?

Gabu Heindl

Ich glaube, das ist abhängig vom Kontext. Eduard Freudmann und ich haben vor einigen Jahren einen internationalen, offenen Wettbewerb in Warschau gewonnen, bezüglich der Erinnerung an nichtjüdische Polinnen und Polen, die während der nationalsozialistischen Zeit Jüdinnen und Juden gerettet haben. Wir waren dadurch mitten in einem weltweit öffentlichen Diskurs darüber, dass dieser Wettbewerb eigentlich am falschen Ort oder für den falschen Ort definiert war, nämlich durch die Platzierung der Erinnerung an nichtjüdische Menschen mitten im ehemaligen jüdischen Ghetto und damit verbunden die Frage danach, wer hat Recht auf welche Erinnerung an welchem Ort? Der Wettbewerb hat diese Diskussion evoziert – und wir haben in der zweiten Runde darauf reagiert. Eine solche intensive Thematisierung wurde im Falle des geladenen Wettbewerbs zum Hitler-Geburtshaus vorweg nicht in Anspruch genommen und ist auch bislang nicht passiert.

Öffentlichkeit
Es gab noch zu wenig öffentliche Diskussion. An sich setzen sich ja viele Menschen weltweit mit Erinnerungspolitik auseinander – akademisch, theoretisch, praktisch, aus sozialarbeiterischer Perspektive, aus historischer Perspektive etc. All diese Expertise lässt man außen vor, wenn man einen gewissen Stab an Expert*innen vorauswählt, die einen möglichst „historisch korrekten” Umgang beschreiben. Und wenn man den dann exekutiert – mitten während der Corona-Lockdowns?
Franz Denk
Wir sind im kakanisch-gemütlichen Österreich, und im Prinzip ist es eine Fortsetzung dieser Vergangenheitsverleugnung. Man will sich dem Problem nicht wirklich stellen, behauptet, das machen wir alles selber, das können wir alles alleine viel besser. Ich glaube, dass das hinterfragungswürdig und eigentlich ein Skandal ist.

Warum wird generell nicht mehr diskutiert? Da gibt es ein paar Zeitungsartikel, aber Verantwortliche, Politik und Verwaltung schweigen beharrlich und drehen damit heikle Themen möglichst schnell ab.

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2020
Mahnstein auf dem Gemeindegrund vor dem Gebäude
Ein Arbeitskreis der Stadtgemeinde Braunau entscheidet, den Mahnstein unverändert vor dem Gebäude zu belassen und spricht sich damit gegen die Versetzung innerhalb Braunaus – wie von einer Expert:innengruppe des Innenministerium empfohlen – sowie gegen die Übersiedelung in das Haus der Geschichte in Wien aus.

Es gab – zumindest meiner Recherche nach – auch keine massive Dringlichkeit, hier zu agieren, weil da womöglich sonst ständig Neonazis vor dem Haus aufmarschieren würden. Es gab ja den Versuch, über einen Gedenkstein die Kontextualisierung des Ortes umzubesetzen. Es gibt auch zivilgesellschaftliche Initiativen in Braunau, die darauf achten, dass das Haus eben nicht zum Pilgerort wird. Hier wurde eine Not herbeigeschrieben, für die man ganz schnell eine Lösung finden sollte. Ohne eine Auseinandersetzung, die viele Menschen mit einbezieht und die viel wertvoller wäre.

DA

Die Teilnahme am Wettbewerb war mit dem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren, das öffentlich war, in zwei Phasen gegliedert. Das Teilnehmer:innenfeld der zweiten Phase war sehr klein – es wurden nur 15 Büros zugelassen und schlussendlich haben zwölf davon abgegeben. Sie waren eine von jenen, die nach erfolgreicher Zulassung keine Einreichung abgegeben haben.

Gabu Heindl

Wie viele Bewerber:innen es in der ersten Phase tatsächlich gab, wissen wir nicht. Ich weiß nicht, ob die Zahl öffentlich ist. Dass bei einem geladenen Wettbewerb, bzw. bei einem solchen zweistufigen Wettbewerb 15 Büros geladen werden, ist eine Entscheidung der Jury und auch eine Entscheidung der Auslober – auch in Bezug darauf, wie viel Geld man ausgeben möchte. Es gab, glaube ich, ein Bearbeitungsgeld für die erfolgreiche Teilnahme, das wir nicht beansprucht haben. In dem Moment, in dem diese Form des Wettbewerbs gewählt wird, können es 15 oder 25 sein, aber es ist ganz selten, dass es 40 oder 50 wären, die dann auch anständig für die Ausarbeitung bezahlt würden.

DA

Hätte es mehr Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld des Wettbewerbs, oder mehr Öffentlichkeit allgemein gebraucht? Der Wettbewerb war ja unter anderem sehr kryptisch betitelt mit „Salzburger Vorstadt 15“.

Gabu Heindl

Auf jeden Fall, aber die Frage ist, hätte es mehr Öffentlichkeit für diese Form des Wettbewerbs gebraucht oder mehr Öffentlichkeit allgemein? Letzteres ist auf jeden Fall meine Position.

DA

Aus welchen Gründen haben Sie sich dazu entschieden, nach erfolgter Einladung nicht an dem Wettbewerb teilzunehmen?

Gabu Heindl

Zunächst einmal haben wir uns mit einem Statement beworben, in dem es darum geht, warum uns das interessiert. Wir haben darin auch geschrieben, dass wir Erfahrung auf dem Gebiet haben, uns viel mit architektonisch/erinnerungspolitischen Fragen auseinandergesetzt haben – in Form von Ausstellungsformaten, Kontextualisierungen im öffentlichen Raum, etc. Es gibt immer die Abwägung: Macht man gar nicht mit, boykottiert man schon im Vorhinein? Da die Unterlagen so kryptisch waren, wollten wir sie uns anschauen und haben das auch sehr genau gemacht. Die Bearbeitungszeit war zu kurz angelegt.

Rolle der Architekt:innenschaft
Es war für uns aber auch klar, dass wir sicher nicht um jeden Preis eine Antwort auf eine Frage geben, die in unseren Augen falsch gestellt war. Wäre es uns gelungen, in der Zeit einen guten, kritischen Alternativvorschlag zu entwickeln, dann hätten wir ihn vielleicht auch eingereicht. Aber wahrscheinlich hätte der Vorschlag nur heißen können, es nochmal auszuschreiben.
Andreas Henter
Ich glaube schon, dass man sich grundsätzlich der Verantwortung stellen muss, um auch sagen zu können: Wir tun mit diesem Gebäude etwas.

Für uns war es wichtig, dass es diese geschichtliche Abhandlung über das Expertengremium [Anm.: die Historikerkommission] gegeben hat. Ihr Ergebnis haben wir bewusst nicht hinterfragt.

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Und das, obwohl theoretisch die Möglichkeit bestanden hätte, der Polizei „nur“ durch einen Neubau neben dem historischen Haus Raum zu geben und das Haus zumindest leer zu lassen. Innerhalb dieses Projektentwicklungsprozesses wurde umgangen und nicht eingelöst, was ein solches Projekt eigentlich bräuchte, nämlich eine längerfristige Auseinandersetzung – vor allem mit der Zivilgesellschaft vor Ort. Das war im Rahmen dieser ganz klaren, technokratischen Ausschreibung des Raumprogramms für eine Polizeistation in keiner Weise möglich. Es wäre aber spannend gewesen, hätten mehrere Büros nicht geantwortet. Wobei: Es gab ja ein paar interessante Protestabgaben, wobei man aber gemerkt hat, dass die auch nicht sehr weit gefruchtet haben.

DA

War es Ihnen ein Anliegen, diese Entscheidung öffentlich zu machen und so noch einmal gegen diesen Wettbewerb zu protestieren?

Gabu Heindl

Es ist mir jedenfalls kein Anliegen, das nicht öffentlich zu machen, daher sprechen wir ja gerade zusammen darüber. Die Bearbeitung des Wettbewerbs fiel in den ersten strengen Lockdown. Wir haben gemerkt, dass man gemeinsam als Team an einem Tisch sitzen muss, um solche schwierigen Fragen zu reflektieren, und wie wichtig es ist, nicht nur online miteinander zu arbeiten. Es braucht Diskussionsforen, einen gemeinsamen Raum, um auch öffentlichere Diskussionen zu führen. All das war überhaupt nicht möglich.

DA

Uns haben vor allem die Auslobungsunterlagen tätig werden lassen. Die Sprachlichkeit der Auslobung, die alles umschifft, nichts beim Namen nennt – aber dann trotzdem fordert, Erinnerung zu beseitigen, zu neutralisieren. Können Sie etwas zu dieser Sprachlichkeit in der Auslobung sagen?

Gabu HeindlSprachlichkeit
Ich fand es auch problematisch, dass [in der Auslobung] gesellschaftspolitisch höchst wichtige und zu benennende Themen außen vor geblieben sind: die Geschichte des Nationalsozialismus, die Frage nach der Rolle Österreichs, nach der Rolle der Politik und Verwaltung in der NS-Zeit, aber auch die Frage der Zivilgesellschaft in ihren unterschiedlichsten Facetten, bis hin zur Fetischisierung dieses Hauses nach der NS-Zeit.
Wettbewerbsverfahren
Die Aufgabe wurde auf ein technisch-pragmatisch zu lösendes Problem reduziert: Wie das Raumprogramm der Polizei in das alte Haus reinpasst, wie das Haus am Ende ganz anders aussehen kann. Das ist letztlich eine zu problematisierende Form der Ausschreibung in Hinblick auf die Ausgangssituation. Man setzt sich nicht mit der Schwierigkeit und dem Erbe dieser Zeit auseinander, sondern versucht, es möglichst simpel zu entsorgen, einerseits ästhetisch, andererseits technisch-bürokratisch.
Arnold Brückner
Das ist ja nicht aus Versehen so passiert, sondern das ist eine starke Absicht, die man auch in der Auslobung schon merkt – dieses Ding möglichst ohne Wellenschlagen in der vorgegebenen Richtung umzusetzen, weil man weiß, dass diese Idee die richtige ist, die einzige Möglichkeit.
Und deswegen will man das umsetzen – ohne große Diskussion, oder? So habe ich die Auslobung gelesen. Man brauchte die Architekten in ihrer Fähigkeit des Vorschlags einer räumlichen Lösung. Und jetzt soll man das bitte umsetzen, weil man ein Problem lösen möchte. Und diese Lösung sieht man in einem neutralisierenden Umbau und seiner Besetzung durch die Polizei.
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DA

Diese Nicht-Nennung, dieser Nicht-Umgang mit dem historischen Kontext in den vorgeschalteten Wettbewerbsunterlagen haben dazu geführt, dass die Teilnehmer:innen selbst eine Sprachlichkeit finden mussten und dadurch eine entweder unbedarfte oder teils wirklich sehr unpassende Sprache verwendet wurde. Zum Beispiel wird beim Siegerbeitrag vom „Führer-Geburtshaus“ gesprochen. Damit hat sich das Büro nicht sofort disqualifiziert, sondern auch noch gewonnen.

Gabu Heindl

Worüber wir eben auch sprechen sollten, ist die Jury und die Frage danach, was es in der Jury für eine Sensibilität gibt. Man braucht Teilnehmer:innen in der Jury, die auch in der Lage sind, zu decodieren, ob ein Architekturbüro nicht nur weiß, wie es diese historischen Gemäuer für die Zukunft umbaut, sondern auch weiß, worüber wir hier eigentlich sprechen. Es gibt genügend Leute, die wissen, dass es eben nicht darum gehen kann, die Sprache der Täter weiterzuschreiben. Da brauche ich in dem Haus noch nicht mal einen Täterort erkennen – ein solcher entsteht ja eher dadurch, dass diese Sprache weiterverwendet wird. Wir sollten fragen, was es bedeutet, dass irgendjemand das Haus immer noch „Führer-Geburtshaus“ nennt – dass Hitler unhinterfragt immer noch „Führer“ heißt?

Es zeugt aber auf jeden Fall davon, dass der Wettbewerb nicht als einer verstanden wurde, der dringlich die dafür notwendige Form von Auseinandersetzung miteinbeziehen sollte. Er wurde als architektonischer, technischer Wettbewerb verstanden, dieses Haus umzubauen, mit dem vorgegebenen Raumprogramm. Die Fragen danach, wie spreche ich über Hitler, was für Themen stehen da noch im Raum? Diese Fragen sind dann offensichtlich für die erfolgreichen Büros gar nicht relevant gewesen. Damit impliziere ich nicht, dass sie das absichtlich negiert haben.

Man möchte aber eigentlich nicht glauben, dass im Jahr 2020 Büros rein pragmatisch bei einem solchen Wettbewerb mitmachen, um einen weiteren Auftrag zu bekommen. Das würde schon sehr an Zynismus grenzen oder eigentlich fast an Selbstdestruktion. Nicht zuletzt ist das ein viel beobachtetes Projekt. Man weiß auch, dass solche Projekte – hoffentlich – nicht ohne Proteste aus der Zivilgesellschaft ablaufen: Proteste aus allen ideologischen Ecken heraus. Man müsste sich darauf einstellen, dass man als Architekt:in auch eine Vermittler:innen-Position einnehmen muss. Ich glaube, dass man noch viel früher von zivilgesellschaftlicher Seite das Verfahren des Wettbewerbs beeinspruchen hätte sollen.

DA

Derzeit ist die von Ihnen gestaltete Ausstellung Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum im Haus der Geschichte Österreich in Wien zu sehen. Lässt sich das Konzept der Ausstellung auch an einen belasteten Ort, wie das Geburtshaus von Adolf Hitler, transferieren? Das Haus der Geschichte Österreich ist letztlich auch eine Art von belastetem Ort, alleine schon durch den sogenannten Hitler-Balkon. Wie sehr ist dieses Konzept ortsbezogen? Lässt sich das auch an einen, sozusagen, noch belasteteren Ort transferieren? Und welche Antworten liefert die Ausstellung darüber, ob man Hitler einfach entsorgen sollte?

Gabu Heindl

Im Prozess zur Gestaltung dieser Ausstellung haben wir unter anderem den Titel oft diskutiert. Ich war eigentlich gegen Hitler im Titel, wobei aber mit „Hitler entsorgen“ doch ein kritischer Aspekt aufgeworfen wird – denn natürlich lässt der sich nicht entsorgen. Ich würde sagen, das Geburtshaus von Hitler ist wahrscheinlich weniger belastet als der „Hitler-Balkon“ und der Heldenplatz. Es geht aber nicht darum, eine Reihung vorzunehmen. In der Ausstellung haben wir den Altan – so heißt dieser Balkon – direkt mitthematisiert. So wie wir anhand des Nazi-Zeugs, das ins Museum geschickt wird, Fragen stellen, die die Menschen zum Nachdenken bringen sollen, fragt die Ausstellung: Sollen wir auf diesen „Hitler-Balkon“ gehen können oder nicht? Sollen Menschen im schlimmsten Fall ungehindert Nazi-Posen nachstellen können? Diese Fragen sind überhaupt nicht unähnlich zu den Fragen, die wir uns im Rahmen meiner Professorinnenstelle in Nürnberg gestellt haben. Ich war bis vor kurzem in Nürnberg Professorin für Städtebau, dabei haben wir uns intensiv mit dem Reichsparteitagsgelände und mit der Zeppelintribüne beschäftigt. Es ist schon perfide, wie der Balkon der Zeppelintribüne die Menschen anregt, sich raufzustellen und sich kurz sozusagen wie der „Führer“ zu fühlen. Und doch, die Frage nach demokratischer Zugänglichkeit muss gestellt werden. Wie wird sie aber vermittelt? Wie wird sie gebrochen? Es muss nicht immer ein Museum sein, es muss kein Haus der Geschichte sein, aber es braucht eine kontinuierliche Auseinandersetzung damit – so wie eben auch mit dem Haus in Braunau.

Bauliche Strategie
Das Haus in Braunau wirft genau diese Frage auf: Sollen wir nicht endlich auch hier Hitler entsorgen? Es durch die Polizei neutralisieren und so umbauen, dass es nicht mehr wiedererkennbar ist? Es kann zu einem schönen, schicken, historischen Haus werden – immerhin gibt es viele Stimmen, die sagen, irgendwann muss es auch einmal genug sein.
Wilfried Kassarnig
Ich habe dieses Objekt auch in der Verantwortung der Stadt gegenüber gesehen. [...] Ich glaube, dass man diese Verantwortung übernehmen muss und nicht ein geschlossenes historisches Bild zerreißt, sondern es wieder zurückführt auf eine Stufe der Vorgeschichte, weg von der Zeit 1938/40, der Zeit einer anderen Ausrichtung, die man nicht mehr in der Form haben und zeigen will.
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Mich interessiert weniger der historische Moment, dass etwa in diesem Fall jemand darin geboren wurde, oder die Geburt selbst von jemandem, von dem man längst weiß, welche Menschheitsverbrechen er begangen hat. Am meisten interessiert mich, wie die Gesellschaft seither mit dem Haus umgeht: Das ist das Spannende, das gilt es zu diskutieren, aufzuarbeiten, sich damit auseinanderzusetzen.

DA

Kann man den komplexen, historischen Fragestellungen, wie sie das Haus in dem Adolf Hitler geboren wurde aufwirft, mit baulichen Lösungen gerecht werden? Wenn sie eigentlich größer, gesellschaftlicher gedacht werden müssen?

Gabu Heindl

Grundsätzlich kann man nicht einer komplexen, historischen Fragestellung mit einem monofunktionalen Lösungsansatz gerecht werden. Architekt:innen und Architektur würden sich massiv überschätzen, wenn sie denken „Wenn wir ein schönes Haus draus machen, ist das alles erledigt". Es würde sich das Innenministerium massiv überschätzen, wenn die Leute dort denken „Wenn wir eine Polizeistation reinsetzen, ist das alles erledigt". Und es ist natürlich auch eine Überschätzung zu sagen „Wenn wir protestieren, ist alles erledigt". Ich glaube, es geht um die Vielfalt und um die Allianzbildung von all jenen, die ein wirkliches Interesse an andauernder antifaschistischer Arbeit haben, nicht nur daran, wie das Haus umgestaltet wird. Wenn das Haus künftig die entsprechende Infrastruktur für diese Arbeit gewährleistet, um einen Diskurs vor Ort führen zu können, wäre das toll, aber ich weiß nicht, ob wir Lust haben werden, eine solche Diskussion in einer Polizeistation zu führen.