Wir möchten mit Ihnen über die Bedingungen von Architektur anhand eines belasteten Ortes sprechen: Gegenstand des Architekturwettbewerbs war mit dem Gebäude in der Salzburger Vorstadt 15 das Geburtshaus von Adolf Hitler. Es handelt sich hier um einen beispiellosen Ort, der weder Täter- noch Opferort ist, aber als solcher eine zentrale, gedenkpolitische Bedeutung innehat – Braunau wird immer damit verbunden sein, dass Hitler dort geboren wurde. Wie wurde Ihnen dieser Ort bewusst?
Dass Braunau der Geburtsort Hitlers ist, das weiß man – woher ich das weiß, das kann ich nicht mehr sagen. Die konkrete Situation kenne ich tatsächlich erst aus diesem Wettbewerbsverfahren.
Was bedeutet dieser Ort in Ihren Augen? Und wie soll diese Bedeutung in der Zukunft gestaltet werden?
Deswegen halte ich es hier für fahrlässig, geradezu übelwollend, diesen Ort auslöschen zu wollen. Von derartigen Orten gibt es tatsächlich sehr wenige, die derart prägnant genau diese Fragen stellen. Ich müsste jetzt wirklich nachdenken. Ich wüsste kaum einen vergleichbaren Ort, der diese Dimension so präzise in sich trägt.
Die Auslobung erwähnt nicht, um welches Haus es sich handelt: Der Name Adolf Hitler wird an keiner Stelle genannt. Würde man einen Namen, wenn es um eine positiv konnotierte geschichtliche Persönlichkeit geht, genauso wenig nennen? Oder geht es jetzt wirklich um die Person Adolf Hitler? Was die Ausschreibung aber klar formuliert ist der Wunsch, Erinnerung „zu beseitigen“. Dieser geht offensichtlich so weit, dass die Auslober Hitlers Namen nicht einmal nennen – obwohl natürlich jeder, der diese Ausschreibung gelesen hat, sofort weiß, um welches Haus es sich handelt und auch über den Ort Braunau am Inn direkt die entsprechende Assoziation hat.
Wenn so ein Wettbewerb in Braunau vom Innenministerium ausgelobt wird, ist es naheliegend, um welches Gebäude es sich handelt. Ich weiß, dass man es gerne vermeiden wollte, dass die konkrete Bezeichnung angeführt wird. Man wollte das aus Google tilgen – ich weiß nicht, ob das gelungen ist – was ich höchst fragwürdig finde.
Die Auslobung ist für den Gegenstand der Auslobung in der ganzen Diktion sehr technisch formuliert. In den Bereichen, wo sie das nicht ist – wo Dokumente wie zum Beispiel die Stellungnahme der Historikerkommission zur Kenntnis gegeben werden –, ist sie extrem reduziert auf allein die Position der Auslober. Das ist fragwürdig.
Was auch eine ganz interessante Frage ist, die uns sehr intensiv beschäftigt hat – obwohl sie im engeren Sinne keine architektonische Dimension hat – ist die Geschichte im Umgang mit diesem Haus. In der Auslobung taucht auch diese Dimension der Geschichte der Transformation der zwischenzeitlichen Inszenierung des Hauses nur sehr mittelbar auf.
Sie sprechen von der Inszenierung als Geburts- und Kultstätte in der NS-Zeit?
Ja, und danach wieder rückwärts, also das Zurücknehmen davon. Auch dazu fehlt in der Auslobung eine Auseinandersetzung. Aber ehrlich gesagt, am Ende muss man sich dies auch erarbeiten, wenn man in so ein Thema einsteigt. Ich denke, das kann man als Architekt tun. Das haben viele solcher Geburtsorte gemeinsam, dass man erst eine bedeutende Persönlichkeit hat und sich dann die Rezeption verändert, was wiederum Auswirkungen darauf hat, wie man damit umgeht. Verrückterweise gibt es hier auch die Stellungnahme der Denkmalpflege. Die ist hochinteressant im Kontext der Auslobung, weil sie in diesem konkreten Fall – aus meiner Sicht durchaus richtigerweise – bestimmte Grundsätze zumindest einmal zur Disposition stellt. Mir scheint tatsächlich auch die Denkmalpflege weiter zu sein als das Innenministerium.
Ist der klassische Umgang mit einem Denkmal, also alles zu erhalten, was da ist, als ein größtmöglicher Substanzerhalt im konkreten Fall geeignet, dem Anspruch an das „sich erinnern“ an diesem Ort wirklich gerecht zu werden? Ich denke, was die Denkmalpflege sehr gut verstanden hat, ist, dass das tatsächlich nicht der Fall ist, dass es um die relative Unabhängigkeit von der eigentlichen Substanz und von der eigentlichen Gestalt an diesem Ort geht.
Grundsätzlich muss man sagen, dass durch das Enteignungsverfahren der denkmalpflegerische Schutz aufgehoben wurde. Es wäre durch die Enteignung somit potenziell jegliche bauliche Änderung möglich gewesen, auch in einem noch größeren Ausmaß. Die Auslobung legt bezüglich des baulichen Umgangs mit dem Gebäude und speziell mit dem Dach nahe, die Dachform in einen Doppelgiebel zurückzuführen – was sehr viele Büros als Einladung eben dazu verstanden haben. In der Auslobung und auch in den begleitenden Unterlagen wurde aber offensichtlich zu wenig deutlich, dass die bauliche Veränderung der Dachform vom Doppelgiebel zum traufständigen Dach zur Salzburger Vorstadt keine bauliche Veränderung der Nationalsozialisten war: die Dachform wurde ja schon vorher verändert und in der NS-Zeit nur saniert worden.
Wir sind den Eindruck nicht losgeworden, dass es in dieser Hinsicht im Teilnehmer:innenfeld auch einige Missverständnisse gab. Beziehungsweise, dass offensichtlich dieser naive Wunsch da war, die Zeit sehr weit zurück zu drehen, um jegliche negativen Assoziationen an die Nationalsozialisten mit etwas anderem zu übertünchen oder zu überbauen.
Das ist völlig richtig. Diese Geschichte ist mir gut bekannt, das hat uns natürlich auch interessiert. Wobei das Missverständnis durchaus bezeichnend ist. Plötzlich hat man das Zusammenfassen zu einem Haus als den Versuch interpretiert, dieses Haus repräsentativer erscheinen zu lassen – aber nicht mit der Absicht, den Geburtsort Hitlers zu inszenieren, sondern vielleicht war es viel banaler und man hat diese technisch nicht ganz unproblematischen Sicken irgendwie loswerden wollen. Aber plötzlich wird es so gelesen und führt dazu, dass umgekehrt die Verniedlichung zum Ziel erhoben wird und man wieder die Giebelchen bauen darf.
Mit Ihrem Wettbewerbsbeitrag, den Sie gemeinsam mit dem Wiener Büro KABE Architeken eingereicht haben, sprechen Sie sich hingegen für ein mahnendes Erinnern aus.
Wir haben eine große Zahl von Orten der Verbrechen, bei uns in Weimar namentlich, die dramatisch sind, die uns in eine Situation des sich Identifizierens mit den Opfern bringen. So verstörend die Orte sein mögen, so komfortabel sind sie, was unsere eigene Position angeht. Ähnlich ist es mit den Orten der Taten, die als eindeutig verbrecherisch benannt und adressiert werden und damit immer eine Distanz zwischen uns als nachgeborene Betrachter und den damals dort handelnden Tätern ermöglichen. Das nimmt jeder allzu gerne für sich in Anspruch.
Hier in Berlin, etwa im Finanzministerium, kann man sich vorstellen, wie im Stechschritt in Uniform durchgelaufen wurde. Und man sagt: „Das sind die, das sind nicht wir“. Das geht an diesem Ort, Braunau, nicht. Und zwar gerade deswegen, weil er so gewöhnlich ist. Weil an diesem Ort nicht die Tat stattgefunden hat und auch nicht das Verbrechen, sondern an diesem Ort scheint die Möglichkeit auf – für uns alle – und das ist nicht wenig.
Was war für Sie als Person und als Architekturbüro die Motivation, an diesem Wettbewerb teilzunehmen?
Zu dem Zeitpunkt war mir ehrlich gesagt nicht klar, dass die Auslobung des Wettbewerbs geradezu explizit – wenngleich mit einigen argumentativen Schleifen – die Auslöschung dieses Ortes als Erinnerungsort gefordert hat. Wir haben uns beworben, wir sind dafür eingeladen worden. Absurderweise ist man, wenn man einmal ein Geburtshaus entworfen hat, offensichtlich Experte für Geburtshäuser in der Architektur. Das verdanken wir dem Vergaberecht. Wer da zur Welt kommt, spielt dann offensichtlich keine Rolle mehr.
Als wir uns mit dieser Aufgabenstellung beschäftigt haben, war mir sehr schnell klar, dass wir diesem Anliegen der Auslobung so nicht entsprechen würden können. Und dass das ökonomisch möglicherweise nachteilig ist für den Architekten, der Geld in so ein Ding investiert. Aber ehrlich gesagt, dafür ist es dann auch zu wichtig, dort etwas zu tun. Allerdings sehen das, wie gesagt, ganz offensichtlich die meisten anderen Kollegen anders. Und die werden Ihnen wortreich erklärt haben, warum das alles gut ist, so wie es ist.
Marte.Marte haben in ihrem Erläuterungsbericht ausdrücklich und wörtlich geschrieben, dass die Erinnerung an dieser Stelle verschwinden dürfe. So einen Text hat jemand mal geschrieben. Da ich niemandem unterstelle, er schreibe etwas, ohne darüber nachzudenken, tut er womöglich auch andere Dinge, ohne nachzudenken. Es wäre nicht erfreulich, sich das vorzustellen. Dass das Projekt inzwischen nicht mehr auf deren Website auftaucht, zeigt das schlechte Gewissen, das man möglicherweise inzwischen hat. Es reicht aber natürlich in Österreich nicht so weit, dass man dann einen Auftrag zurückgibt. Oder jedenfalls habe ich davon keine Kenntnis. Das wäre die einzig angemessene Reaktion.
Schön, Ihre klare Perspektive von außen zu hören. Wir haben Ihrem Wettbewerbsbeitrag und auch Ihrer Website entnehmen können, dass Sie auch der Nutzung als Polizeistation kritisch gegenüberstehen. Warum halten Sie die Entscheidung des damaligen Innenministers Peschorn, das Gebäude als Polizeistation zu nutzen, für nicht angemessen?
Zunächst einmal muss man sich diese Gemengelage anschauen. Eine Nutzung sei geeignet, den Enteignungszweck zu rechtfertigen, heißt es im Abschlussbericht der Kommission. Das ist eine juristische Argumentation, die versucht, ein gut gemeintes Ziel zu legitimieren. Das kann aber im Nachgang für den tatsächlichen Umgang mit dem Gebäude nicht mehr der Maßstab sein. Ich glaube, das sind unterschiedliche Situationen und in unterschiedlichen Situationen wurde in einer bestimmten Weise argumentiert. Ich kann das auch nur aus den mir zur Verfügung stehenden oder zugänglichen Dokumenten so schließen.
Wir haben diese Frage völlig unvoreingenommen und auch jenseits solcher Verflechtungen in irgendwelchen Verfahrensfragen für uns diskutiert: Wie kann man mit einem solchen Ort überhaupt umgehen? Ganz offen gestanden, ich hätte möglicherweise, wenn es eine klug konzipierte, sozial-karitative Nutzung gewesen wäre, sogar noch einmal anders darüber nachgedacht. Ich glaube aber, dass grundsätzlich jegliche Nutzung wahnsinnig problematisch ist. Ich denke nicht, dass die Erinnerung an diesem Ort durch einen Umbau, durch eine Veränderung dieses Hauses getilgt werden kann. Die Erinnerung daran, dass es sich hier um Hitlers Geburtsort handelt, ist nicht gebunden an die Substanz dieses Hauses, und sie ist auch nicht gebunden an das Erscheinungsbild dieses Hauses.
Das Erscheinungsbild ist ganz erheblich verändert worden, mit dem Ziel der Inszenierung des Geburtsortes. Das kann man tun, das kann man auch wieder zurücknehmen. Das wird aber nichts daran ändern, dass dieser Ort immer mit diesem historischen Ereignis, mit dem Geburtsort Hitlers adressiert werden wird. Das setzt ganz zwangsläufig alles, was dort passiert, immer in einen Bezug zu diesem Ort. Selbst wenn Sie eine sozial-karitative Nutzung reinsetzen, hat diese immer nur den Zweck, diesem Ort gewissermaßen etwas entgegenzusetzen. Ich bin mir nicht sicher, ob es anständig ist, von einer Behinderteneinrichtung zu verlangen: „Ihr seid jetzt hier, weil ihr damit diese Erinnerung unterdrückt.“ Das scheint mir als Vorstellung einigermaßen grotesk. Und noch schwieriger ist es, wenn eine Polizeistation in das Gebäude einzieht, weil die armen Polizeibeamten, die dort sitzen, plötzlich in der absurdesten Rechtfertigungssituation sind. Wenn man das zu Ende denkt, stellt man fest, dass für jeden, der dort täglich sein müsste, dieser Umstand, dass dieser Ort immer Erinnerungsort ist, eine Zumutung ist, der man niemanden aussetzen sollte. Das war der Grund, weswegen wir generell eine Nutzung hier für ausgeschlossen halten und das wollen wir auch zeigen. Das war einer der Gründe, warum wir den Vorschlag gemacht haben, den wir gemacht haben.
Haben Sie das Verfahrensmodell des Realisierungswettbewerbs als das richtige Format empfunden? Hätten Sie auch an einem Ideenwettbewerb teilgenommen?
Man kaschiert die Verlegenheit, die Dinge nicht wirklich durchdacht zu haben, indem man einen Ideenwettbewerb ausschreibt. Ich finde es sogar fast richtiger, ihn Realisierungswettbewerb zu nennen. Was ich für problematisch halte, ist die extreme Festlegung in dem Wettbewerb auf den Umgang mit dem Geburtshaus. Der Gedanke, zu sagen, „ich mache an diesem Ort eine Polizeistation“, ist gar nicht mal so abwegig, in Hinblick auf diese Aneignungen, die dieser Ort bisweilen auch erfährt. Präventiv ist es gar nicht so schlecht, wenn dort ein paar Gendarmen sind – aber die müssen nicht direkt in dem Haus sein.
Was mich schockiert hat ist, dass kein einziger der Wettbewerbsteilnehmer sich mit dem eigentlichen Kern der Aufgabe auch nur ansatzweise auseinandergesetzt hat. Das, muss man so sagen, ist ein Armutszeugnis.
Das ist der Grund, warum wir hier sitzen. Aber den eigentlichen Kern der Aufgabe sehen die Auslober woanders, es ist ja in gewisser Hinsicht um einen Nicht-Umgang gegangen.
Nein, das haben die Auslober auch so gesehen. In der Auslobung steht, dass die Erinnerung getilgt werden soll. Normale Auslobungen zu Polizeistationen in Vorstädten irgendwelcher Kleinstädte enthalten meines Wissens nicht seitenlange Stellungnahmen von Historikerkommissionen.
Die Auslobungsunterlagen haben keine Sprache für einen gedenkpolitischen Umgang mit diesem Gebäude gefunden. Folglich zeichnen sich auch viele der Einreichungen durch eine unsensible bis skandalöse Sprachlichkeit aus – um zum Beispiel das „Führergeburtshaus“ von Marte.Marte zu nennen. Inwieweit haben diese Auslassungen in der Auslobung bei Ihnen dazu geführt, ein Plädoyer für einen gedenkpolitischen Umgang mit dem Gebäude zu verfassen? Als solches lesen wir Ihren Wettbewerbsbeitrag.
Ja, ich halte es für unausweichlich im Umgang mit diesem Ort, das zu tun. Ein anderer Beitrag wäre mir nicht möglich gewesen, an der Stelle. Ich könnte höchstens sagen, ich mache gar nichts. Ahnend, wissend, dass das herauskommt, was herausgekommen ist, hielt ich es schon für wichtig, wenigstens den Versuch zu unternehmen, mit unseren Mitteln, mit den Mitteln der Architektur, tatsächlich eine Position zu verfassen.
Sie haben gemeinsam mit KABE als einziges Büro vorgeschlagen, das Geburtshaus an sich ungenutzt zu lassen und die Polizeistation in einem komplett separaten Zubau anzusiedeln. Wäre es für Sie auch eine Option gewesen, nur das ungenutzte Haus als Mahnmal einzureichen?
Ja, das hätte man machen können, aber das wäre in diesem Verfahren möglicherweise schwierig gewesen. Da hätte gleich die Gelegenheit genutzt werden können, das Projekt auszusortieren. So leicht wollten wir dem Auslober das Leben auch nicht machen. Es gibt gute Gründe dafür zu sagen, an diesem Ort, im Umfeld von Hitlers Geburtshaus, wäre die Polizeistation richtig situiert. Das würde ich jetzt noch nicht einmal kritisieren. Ich glaube, da liegen auch der Auslobung durchaus nachvollziehbare Gründe oder Argumente zugrunde. Insofern zielt unsere Kritik nicht auf die Nutzung ab, sondern auf den Umgang mit dem Geburtshaus an sich.
Aus diesem Gegenüber des Geburtshauses und dem Zweckbau der Polizeistation ergeben sich Synergien. Und eine Polizeistation an diesem Ort erhält eine Berechtigung – wenn man davon ausgeht, dass es um eine gewisse Präsenz an diesem Ort geht, die wünschenswert ist.
Wir haben diese unglückliche Situation in Österreich, wie auch in Deutschland, dass wir Orte haben, die ohne Polizeipräsenz praktisch nicht auskommen – wie etwa alle Synagogen. Und möglicherweise sind es auch solche Orte wie das Geburtshaus Hitlers. Dass das nötig ist, ist traurig, aber ich fürchte, ich kann nicht einfach behaupten, es sei nicht nötig.
Sie schreiben im Text zu ihrem Wettbewerbsbeitrag „die Erinnerung selbst muss diesen Ort besetzen“. Sehen Sie die Gefahr, dass der Ort dadurch in seiner geschichtlichen Bedeutung noch erhöht wird?
Ihr Wettbewerbsbeitrag hat den Anstoß gegeben, den Diskurs um den „richtigen“ Umgang mit diesem Gebäude zumindest kurzzeitig noch einmal anzuregen. Sind Sie der Meinung, dass diese Debatte auch nach der Entscheidung des Wettbewerbs weitergeführt werden sollte? Beziehungsweise inwieweit verfolgen Sie diese noch aktiv und bringen sich ein?
Wir verfolgen das insofern aktiv weiter, als wir heute zum Beispiel beieinander sitzen. Ich freue mich, wenn sich in Österreich jemand dafür interessiert und bin natürlich gerne bereit, mit Ihnen zu sprechen. Wenn uns jemand dazu einlädt, unsere Position deutlich zu machen, tun wir das gerne und mit großem Engagement. Letztlich ist es die Aufgabe derjenigen vor Ort, aber auch des Innenministeriums, unter Umständen noch einmal über den Umgang mit dem Haus nachzudenken und vielleicht die eigene Position noch einmal in Frage zu stellen.
Aber das Projekt ist mir schon ein Anliegen. Es ist eine dieser seltenen Situationen, wo in unserer Disziplin tatsächlich auch Verantwortung gefragt ist. Ich denke, das können wir leisten.
Hat es Sie gewundert, dass es nicht mehr kritische Wettbewerbsbeiträge gab?
Ja! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich alle so verhalten würden wie wir, aber ich hatte durchaus erwartet, dass es eine Handvoll von Projekten geben würde, die sich in einer vergleichbaren Art und Weise verhalten würden. Das ist etwas, was mich tatsächlich sehr gewundert hat. Das scheint mir angesichts dieser Aufgabenstellung problematisch.
Einige potenzielle Teilnehmer:innen haben Kritik an der Auslobung und an dem Bewerbungsverfahren an sich geäußert und angeführt, dass man jegliche Form der Teilnahme als ein Gutheißen dieses Prozederes interpretiert hätte. Diese Haltung kann und sollte man natürlich auch diskutieren und in Frage stellen, weil sie schlussendlich dazu geführt hat, dass kaum kritische Wettbewerbsergebnisse vorliegen.
Das ist in der Tat ein Thema, das uns auch beschäftigt. Wir haben uns auch die Frage gestellt: Können wir überhaupt etwas abgeben an der Stelle oder geben wir möglicherweise gar nichts ab? Aber ich glaube, das ist keine hinreichende Haltung. Ich glaube, wenn man sich einmal damit befasst hat, dann muss man auch etwas dazu sagen können. Als Büro ist das ökonomisch nicht besonders sinnvoll, es kostet einen fünfstelligen Betrag so einen Wettbewerb zu machen. Ich glaube aber es gibt nicht so viele solcher Situationen, wo das so nötig ist. Aber es gibt sie und ich denke, dann sind wir als Architekten in der Verantwortung, uns zu positionieren.
Inwieweit kann man komplexen historischen Fragestellungen, wie sie das Geburtshaus aufwirft, mit baulichen Lösungen im Rahmen eines Realisierungswettbewerbes überhaupt gerecht werden?
Und das, obwohl theoretisch die Möglichkeit bestanden hätte, der Polizei „nur“ durch einen Neubau neben dem historischen Haus Raum zu geben und das Haus zumindest leer zu lassen. Innerhalb dieses Projektentwicklungsprozesses wurde umgangen und nicht eingelöst, was ein solches Projekt eigentlich bräuchte, nämlich eine längerfristige Auseinandersetzung – vor allem mit der Zivilgesellschaft vor Ort. Das war im Rahmen dieser ganz klaren, technokratischen Ausschreibung des Raumprogramms für eine Polizeistation in keiner Weise möglich. Es wäre aber spannend gewesen, hätten mehrere Büros nicht geantwortet. Wobei: Es gab ja ein paar interessante Protestabgaben, wobei man aber gemerkt hat, dass die auch nicht sehr weit gefruchtet haben.
So wenig, wie mit dem Versuch eines nicht-sichtbar-Machens die Geschichte abgeschlossen ist, so wenig ist sie das auch mit einer Position wie der unseren. Auch das entlässt uns nicht aus der Verantwortung, der immer wieder neuen Auseinandersetzung damit. Im Gegenteil, es regt sie möglicherweise an. In der Historikerkommission ist darüber diskutiert worden, ob es im Rahmen einer musealen Nutzung möglicherweise Probleme durch die Aneignung durch unerwünschte Gruppen gibt. Da hängen eine ganze Menge Themen dran, die nicht mehr architektonischer Natur sind, die möglicherweise auch nicht zwangsläufig an diesen Ort gebunden sind. Dennoch denke ich, dass die Architektur eine Position einnehmen kann und sich dem stellen muss.
Ihrem Verständnis folgend ist die Erinnerung, die diesen Ort besetzt, losgelöst davon, was baulich dort passiert. Wird die Erinnerung auch mit der baulichen Veränderung, wie sie im Siegerprojekt angedacht ist, an diesem Ort bleiben?
Ja, aber auf eine andere Art und Weise. Es wird sozusagen das Bild der Verdrängung gebaut, ganz bewusst. Die Verdrängung wird zum Thema.
In einem Interview haben Sie eine Aussage getätigt, die konträr zu dem ist, was Sie gerade gesagt haben: „Dieser Ort wird in hundert Jahren nicht mehr die Bedeutung haben, die er jetzt hat“, lautete hier Ihre Aussage. Das sehen wir durchaus problematisch – eine solche Aussage suggeriert doch, dass man nur Gras über die Sache wachsen lassen müsse und dann funktioniert das schon.
Genau das haben wir doch jetzt in unserem Wettbewerbsbeitrag vorgeschlagen – aber das wollte ja keiner [lacht]. So pessimistisch bin ich nicht. Ich bin bereits Nachgeborener, Sie sind deutlich jünger als ich und beschäftigen sich wieder mit der Sache.
Den ganzen Prozess und auch das bauliche Ergebnis dieses Prozesses wird man daran messen müssen, zu welcher Zeit es entstanden ist. Dass dieses Bild der Verdrängung jetzt, in diesem Jahr, aktiv vorbereitet, beschlossen und umgesetzt wurde, wäre unser Bewertungskriterium und nicht, was eine Gesellschaft in 50 oder 100 Jahren vielleicht darüber denkt.
Natürlich, aber das ist ja das Unglaubliche, dass Österreich ein paar Millionen Euro ausgibt, um Erinnerung zu tilgen. Selbst in den oberen Hierarchien der Politik gibt es auch jene, die alles andere als glücklich sind mit der Weisung ihres Innenministeriums – um es sehr vorsichtig zu sagen. Ich neige nicht dazu, einem Polizisten generell eine Nähe zu rechtem Gedankengut vorzuwerfen – umso schlimmer finde ich es, ihnen zuzumuten, ausgerechnet in diesem Haus Dienst tun zu müssen.
In der Diskussion um eine mögliche sozial-karitative Nutzung gab es von diversen „Opfergruppen“ den Vorwurf der Instrumentalisierung. Dahingehend, dass man sie als benachteiligte Gruppen instrumentalisieren würde, indem man sie zur Nutzung des Gebäudes heranzieht. In den 1970ern bis in die 2000er Jahre gab es genau diese Situation: das Haus wurde von der Lebenshilfe Oberösterreich genutzt. Als eine Fortführung dieser Nutzung diskutiert wurde, war die Instrumentalisierung erneut Thema – in Bezug auf die Polizei aber wurde die Perspektive der tatsächlichen Nutzer:innen kaum besprochen.
Deswegen waren wir auch gegenüber den karitativen Nutzungen am Ende eher kritisch. Letztlich ist der Ort eine Last, die eigentlich keiner tragen kann, nur damit ein Raum genutzt wird. Dafür sind unsere Gesellschaften zu reich. Das kann nicht das Argument sein.
Es war mehrfach herauszuhören, dass Sie die Bewohner:innen Braunaus in der Verantwortung sehen, die Debatte noch einmal zu öffnen – und sich möglicherweise gegen diese Entscheidung von oben zu wehren oder zumindest klar Position zu beziehen.
Es ist auch ein bisschen unfair, weil Braunau das Pech hat, dass sich das ausgerechnet bei ihnen abspielt. Aber letztlich liegt die eigentliche Verantwortung im Innenministerium. Das Innenministerium hat meines Erachtens eine große Fehlentscheidung getroffen und setzt sie Kraft ihrer Weisungsbefugnis gegenüber den nachgeordneten Polizeibehörden auch operativ durch. Im Grunde genommen könnte sich Braunau dazu klar verhalten – viele Leute tun das ja auch. Aber die Verantwortung liegt anderswo. Sie liegt auch bei den Architekten, das muss man so klar sagen. Ich bin nicht geneigt, meine Kollegen so ganz leicht aus der Verantwortung zu entlassen, also zu sagen: „Die Auslobung sei so gewesen, wir mussten das so machen.” Nein, das mussten wir nicht! Überhaupt nicht! Es gibt niemanden, der Druck auf uns ausgeübt hat, das abzugeben, was wir abgegeben haben, außer vielleicht einem marginalen, durchaus tragbaren wirtschaftlichen Risiko, was damit verbunden war. Es geht um ein bisschen Geld und mehr nicht. Das kann man leisten als Architekt. Das kann man von Architekten erwarten zu tun.