Gegenstand des Architekturwettbewerbs war mit dem Gebäude in der Salzburger Vorstadt 15 das Geburtshaus von Adolf Hitler. Es handelt sich um einen beispiellosen Ort, der weder Täter- noch Opferort ist, aber als solcher eine zentrale gedenkpolitische Bedeutung innehat. Braunau wird immer damit verbunden sein, dass Hitler dort geboren wurde. Wie wird einem dieser Ort, das Geburtshaus, bewusst?
Ich habe 18 Jahre in Braunau gelebt, bin dort aufgewachsen. In der Schule und in der Ausbildung haben wir nichts über das Haus gelernt. Weil es am 20. April zu Hitlers Geburtstag immer Treffen gegeben hat, zum Teil mit mehreren Hundert Leuten, war das Haus immer ein Problemhaus in Braunau. Es wurde oft darüber diskutiert. Insofern ist bei mir ein Bewusstsein schon lange vorhanden.
Bei mir oder bei uns war das anders. Dieses Haus als singuläres Objekt war zwar theoretisch, abstrakt, bekannt, aber ich habe es nicht gekannt. Ich habe kein Bild davon gehabt – mir war nicht bewusst, wie es aussieht. Und ich hätte es nicht erkannt, wenn ich durch Braunau gegangen wäre. Natürlich gibt es gewisse Hinweise darauf, es gibt den Gedenkstein und so weiter. Aber das Gebäude fügt sich dort ja sehr gut ein, das heißt, man erkennt es auch nicht als solches, wenn man dort vorbeigeht.
Vielleicht einen Satz dazu, wie die Stadt Braunau mit dem Haus umgegangen ist: Für die Politik war das immer ein heißes Eisen. Ich weiß nicht, inwieweit die Bundespolitik hineingespielt hat, aber vom damaligen Bürgermeister, von der Gemeindepolitik her, hat man lange Zeit versucht, das Haus zu „verstecken“. Es sind sehr viele Besucher gekommen, auch unter dem Jahr. Insofern hat dieses Haus schon sehr große Auswirkungen auf die Reaktionen der Bewohner der Stadt. Aber obwohl es immer wieder Thema war – vor allem in internationalen Medien – wurde es so gut wie möglich aus dem städtischen Bewusstsein verdrängt. So, als würde es nicht existieren. Ich selbst habe lange Zeit überhaupt kein Bewusstsein für das Haus entwickelt. Ich habe erst später im Ausland mitbekommen, dass „jeder“ Braunau am Inn kennt und dass man als Bewohner stigmatisiert wird. Positiv oder negativ, aber immer radikal.
Also bleibt man immer mit diesem Ort verbunden?
Ja. Ich kann ja nichts dafür, aber ich werde immer Braunauer bleiben. Als Architekt bekam ich glücklicherweise mit den Jahren auch einen Expertenblick und ich habe die wirklich große Schönheit dieser gotischen Stadt schätzen und lieben gelernt.
Wie soll die Bedeutung dieses Ortes Ihrer Ansicht nach gestaltet werden?
Ich sehe es doch ein bisschen differenzierter. Die Bedeutung des Hauses können wir nicht verändern. Die ist vorhanden oder ist nur sehr schwer und sehr langsam veränderbar. Was man verändern kann, sind die Funktionen und die Nutzungen des Hauses und wie man zukünftig damit umgeht. Da gibt es mehrere Möglichkeiten, die jetzige ist nur eine davon.
Was war für Sie als Architekturbüro beziehungsweise als Arbeitsgemeinschaft die Motivation, an dem Wettbewerb teilzunehmen?
Welchen Punkten der Ausschreibung standen Sie kritisch gegenüber?
Es gibt einen Braunauer Zeitgeschichte-Verein, der sich schon seit Jahrzehnten sehr professionell mit der Aufarbeitung geschichtlicher Fragestellungen beschäftigt. Der Vorsitzende Florian Kotanko war mein Lateinlehrer, er ist als Historiker wirklich ein Experte. Der Verein hat gute Vorschläge für die künftige Nutzung erarbeitet: zum Beispiel das Haus international zu nutzen, es nicht zu verstecken, sondern damit in Zukunft aktiv zu arbeiten, um es im kollektiven Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern.
Es hat mich überrascht, dass die Vorschläge dieses Zeitgeschichte-Vereins vom Bundesinnenministerium beziehungsweise der Bundesimmobiliengesellschaft nicht berücksichtigt wurden. In meiner Diplomarbeit hatte ich ein Haus der Zeitgeschichte in Verbindung mit dem Hitlerhaus vorgesehen. Wie man mit dem vorderen Gebäudetrakt umgeht, habe ich ausgespart, denn die damalige Nutzung durch die Lebenshilfe schien mir adäquat. Das war in den 1990er-Jahren und damals gab es auf stadtpolitischer Ebene eine Auseinandersetzung mit meinen städtebaulichen Ideen. Dass die jetzige Ausschreibung das Umfeld beinahe ignorierte, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Christoph Leitner, was war als Architekturbüro Ihr Interesse an dem Realisierungswettbewerb teilzunehmen?
Die Motivation kam in dem Fall ganz eindeutig von Franz. Wir kennen uns schon lange. Die Ausschreibung war ein bisschen kryptisch formuliert: da stand nicht Hitlers Geburtshaus, sondern „Umgestaltung Salzburger Vorstadt 15“ – wir haben das in unserem Büro so nicht identifiziert. Dann hat Franz Denk uns angerufen und gefragt, ob wir das gemeinsam machen wollen. Uns interessiert Kontextualität prinzipiell sehr. Da haben wir nicht lange diskutieren müssen, ob wir teilnehmen wollen.
Gab es während der Erstellung des Beitrags neuralgische Punkte, an denen Sie die Teilnahme hinterfragt haben?
Wir haben unsere Teilnahme gut überlegt. Und wir haben darüber auch im Vorhinein diskutiert, es gab ja ein Präqualifikationsverfahren, für das wir uns beworben haben. Als wir dann am Wettbewerb gearbeitet haben, haben wir darüber nicht mehr diskutiert. Worüber wir schon diskutiert haben: wie weit wir uns da und dort über gewisse Aufgabenstellungen hinwegsetzen sollen – und ob das sinnvoll ist. Es gab bei den Wettbewerbsbeiträgen einen Anerkennungspreis, der sich ganz dezidiert über die Aufgabe hinweggesetzt hat und aus dem Gebäude ein Denkmal gemacht hat. Solche Ansätze haben wir auch diskutiert, aber wir wollten im Rahmen des definierten Verfahrens kein Projekt machen, mit dem wir ein Statement abliefern, das in einer Ausstellung hängt und dann ist es das. Es ging uns schon um die Umsetzung des Projektes.
Wir wollten den Wettbewerb gewinnen, und insofern haben wir die Ausschreibung strikt befolgt. Es hat für mich einen neuralgischen Punkt gegeben beim Hearing vor Ort. Auch ich habe dort mein Unverständnis eingebracht über diese Nutzung, Funktion als Polizeidienststelle, und auch über die geforderte Neutralisierung. Es ist heftig diskutiert worden, wie man das begründet. Die Argumentation der Jury konnte nicht von jedem nachvollzogen werden. Im Wettbewerb waren diese Fragen dann aber für uns sozusagen gegessen. Die Auslobung war nicht zu hinterfragen, weil man den Wettbewerb sonst nicht gewinnen kann.
Eine Historikerkommission hatte im Vorfeld des Wettbewerbs Empfehlungen für den „historisch korrekten“ Umgang mit dem Geburtshaus ausgesprochen. Dezidiert waren dies zwei Nutzungsarten: Die sozial-karitative Nutzung, die für gut geeignet angesehen wurde, um die Symbolkraft des Ortes zu brechen, und die administrativ-behördliche Nutzung, die den Enteignungszweck rechtfertigt. 2019 gab es die Entscheidung des damaligen Innenministers Peschorn, dort eine Polizeistation unterzubringen. Sie haben von dieser geplanten Nutzung schon gesprochen, was spricht in Ihren Augen gegen eine Polizeistation im Geburtshaus Hitlers?
Es wurde von der Jury beim Hearing zu Recht argumentiert, dass die Polizei als Symbol, als Machtsymbol oder als staatliche Institution, durchaus eine adäquate Nutzung wäre. Ich frage mich aber: Stellt unsere Exekutive ein geeignetes Symbol für das Geburtshaus eines Diktators dar? Da sehe ich eine gewisse Schwierigkeit. Das kann sich natürlich ändern im Laufe der Zeit. Vielleicht wird bei uns die Polizei einmal nur mehr Freund und Helfer und Dienstleister – und dann ist das durchaus eine mögliche Nutzung. Ich glaube aber nach wie vor, dass es nicht möglich ist, dem Haus durch die Polizeinutzung einen geeigneten Spin zu verpassen.
Die Polizei als Exekutive des Rechtsstaates – in der Theorie ist das als Symbol ein richtiger Zugang, finde ich. Aber in der Praxis gibt es mehrere zusätzliche Layer und Ebenen. Und das Image der Polizei verursacht Assoziationen – das ist auch, was man kritisieren kann. Ich hätte mir die alternative Variante mit der karitativen Funktion auch sehr gut vorstellen können, vor allem weil sie auch in der Vergangenheit dort schon erprobt wurde und, soweit ich weiß, auch ganz gut funktioniert hat.
Im Vorfeld gab es von diversen sozialen Einrichtungen ein Schreiben, dass davor warnt, Menschen mit Beeinträchtigungen zu instrumentalisieren, indem man sie diesen Ort nutzen lässt. Sie, Herr Denk, hatten als Diplom damals ein Museum der Zeitgeschichte im Geburtshaus vorgeschlagen.
Die Diplomarbeit schlug ein Haus der Zeitgeschichte vor, kein Museum, sondern eine aktive und aktuelle Auseinandersetzung mit Geschichte. Und wenn ich mir anschaue, was in Europa mit Bauten passiert, die noch aus der Nazizeit vorhanden sind, mit Konzentrationslagern et cetera: es werden in der Regel europaweite Ideenwettbewerbe ausgeschrieben. Das wäre schon eine gute Idee gewesen. Da verpflichtet man sich noch gar nicht, aber es wird „die ganze Welt“ mit einbezogen und nicht nur ein kleiner Teilnehmerkreis.
Und als zweiten Schritt hätte man dann vielleicht einen gesonderten Realisierungswettbewerb ausloben können. Das finde ich eine vertane Chance. Ich glaube, der Wettbewerb hätte einiges bewirken können: vor allem, indem man die Nutzung breiter denkt. Es gibt viele Möglichkeiten, aber aufgrund der vorgeschalteten Kommission reden wir nur von zwei oder dreien. Aber vielleicht gibt es noch andere sinnvolle Nutzungen, über die keiner ernstlich nachgedacht hat.
Hat man sich also durch das gewählte Verfahren anderen Nutzungsvorschlägen und vor allem einer breiteren Diskussion beraubt? Warum wollte man das vermeiden?
Das war im Nachhinein interessant zu beobachten. Als das Siegerprojekt in Zeitungen publiziert wurde, gab es bei den Postings eine Flut an Beiträgen, allerdings nur sehr kurz. Diese Welle der Aufmerksamkeit war drei, vier Tage lang. Und dann war das Thema medial wieder weg. Das war wahrscheinlich für gewisse Institutionen auch gut so.
Ich stimme zu, dass so ein Ideenwettbewerb als zusätzlicher Baustein zu den Einschätzungen der Historiker sicher eine sehr positive Sache gewesen wäre, weil man einen anderen Blick von Leuten, die sich auf einer anderen Ebene mit dem Thema befassen, hineingeholt hätte. Und dass das Thema auch wirklich international, also noch größer gedacht werden hätte können, dem stimme ich auch zu. Aber die Aufgabenstellung, dass man diesen Ort der Erinnerung und diesen Ort der pilgrimage für Rechtsradikale, dass man dieses Problem einfach beseitigen möchte, das konnte ich gut nachvollziehen.
Das Wettbewerbsergebnis hat ja auch gezeigt, dass die Bandbreite der Antworten sehr schmal war. Das sagt etwas aus.
Es gab eigentlich nur einen Beitrag, der sich da wirklich inhaltlich ganz anders positioniert hat.
Auch auf der sprachlichen Ebene wird diese passive Vergangenheitsbewältigung sehr deutlich. Schon in den Auslobungsunterlagen wird keine Sprache für den gedenkpolitischen Umgang mit diesem Gebäude gefunden. In weiterer Folge zeichnen sich einige Einreichungen auch durch eine sehr naive bis skandalöse Sprachlichkeit aus. Wie ist es Ihnen beim Erstellen der Texte und des Entwurfes damit gegangen, dass im Auslobungstext der historische und erinnerungskulturelle Kontext sowie auch der sprachliche Umgang damit nahezu gänzlich ausgeklammert wurden?
Zumindest der historische Kontext ganz bestimmt nicht, der war eigentlich unser Hauptansatzpunkt. Es war ja sozusagen eine schicksalhafte Fügung, dass Adolf Hitler dort geboren wurde. Dafür kann das Haus nichts, es stand schon vorher dort und es hat sich dort in dieses Gefüge der Braunauer Vorstadt städtebaulich ganz typisch einfügt. Es ist kein herausragendes Gebäude und kein auffälliges Gebäude, sondern ein herkömmliches Vorstadthaus. Dieses Haus ist auch nach 1938 immer wieder überformt worden – die Nationalsozialisten wollten daraus das Führerhaus stilisieren und haben das mit ihrer damals typischen Sprache mit den Fenstern und trutzburgischer Anmutung und so weiter auch versucht.
Unser Ansatz war, dieses historische Haus wieder herauszukehren. Wir haben diesen metaphorischen Ansatz gewählt, dass wir das Haus so lange schütteln, bis alles, was von der NS-Zeit vorhanden ist, abgefallen ist. Man kann das eher einen konservatorischen Zugang nennen. Es war uns wichtig, auch den Bezug zu dem mittelalterlichen Haus wiederherzustellen: es war ein giebelständiges Doppelhaus, und das hat man alles nicht mehr erkannt.
Das Hauptdokument der Auslobungsunterlagen nennt den Namen Adolf Hitler nicht. Uns ist bei Ihrem Wettbewerbsbeitrag aufgefallen, dass auch Sie es vermeiden, den Namen Hitlers auszuschreiben: Sie verwenden ausschließlich die Initialen.
Wir schütteln in unserem Konzept zwar die nationalsozialistischen Elemente des Hauses weg, aber wir haben bewusst geschrieben, dass diese nicht entsorgt, sondern zwischengelagert werden, weil wir in 30 Jahren vielleicht anders damit umgehen. Diese Möglichkeit, diese Offenheit, war uns wichtig.
Ein Widerspruch in der Ausschreibung war, dass das Haus funktionell offen geplant werden sollte. Die Nutzung als Polizeidienststelle erforderte jedoch nicht offene, sondern konkrete, geschlossene Lösungen. Etwa die Verwahrungsräume, die Erdgeschoßzone oder die Eingangssituation mit ihren Schleusen. Der Wettbewerb hat Offenheit suggeriert und gleichzeitig Determiniertheit verlangt.
Sie spielen auf den Vorschlag des Depots im Dachgeschoß an, oder?
Es war uns bewusst, dass beim Abbruch auch Bauschutt entsteht, der dann womöglich über Ebay oder sonstwo in zwielichtigen Kreisen gehandelt wird. Dass die Türschnalle vom Hitlerhaus als Devotionalie gehandelt wird – das wollten wir damit vermeiden.
Wissen Sie, ob dieser Vorschlag eines Depots von der Jury diskutiert wurde? Denn einen solchen Ansatz hat es ansonsten bei keinem anderen Wettbewerbsbeitrag gegeben.
Im Protokoll ist dazu nichts erwähnt. Man muss sich allerdings bewusst sein, dass solche Jurys auch nur in einem relativ beschränkten Zeitraum zusammenkommen. Und ob wirklich alle Unterlagen, alle Ideen, die geschrieben sind, auch tatsächlich ankommen, das ist die andere Frage.
Schon die Ausschreibung war sehr stark auf den Aspekt des Umgangs mit dem Hitlerhaus fokussiert – oder, besser gesagt: reduziert. Der Bezug zur Stadt und die Einbindung der angrenzenden Stadträume waren leider keine zentralen Wettbewerbsthemen. Das ist auch in den drei erstgereihten Projekten deutlich ersichtlich.
In der Auslobung wurde dezidiert die bauliche Rückführung auf eine historische Fassung des Gebäudes in zwei getrennte, giebelständige Gebäude vorgeschlagen. Und es wird auch nahegelegt, dass dies eine gewünschte Lösung ist. Ihr Entwurf sieht den Doppelgiebel auch vor – wenngleich als klar erkennbares zeitgenössisches Element. Haben Sie im Team auch einen anderen Umgang mit dem Bestandsgebäude diskutiert?
Ja. Unser Zugang war dann, im Sinne eines Umgebungsmodells zu schauen, wie sich was einfügt. Und man hat gesehen, dass die Doppelgiebel einfach genau hineinpassten. Das Dach im momentanen Zustand, die Zusammenfassung dieser beiden Dächer, das passt auch von der Proportionierung gar nicht in die städtebauliche Struktur hinein.
Es ist richtig, dass die Ausschreibung eine Doppelgiebellösung nahegelegt hat. Wir haben das intensiv diskutiert. Das alte Dach war auch „ganz hübsch“. Aber als wir erfahren haben, dass dieses Doppelgiebeldach von den Nazis umgebaut wurde, damit das Haus eine prächtigere Erscheinung erhält, und dass der ganze Dachstuhl eine Konstruktion der Nazis war, war für uns klar, dass wir diesen Teil im Sinne unseres Konzeptes des Ausschüttelns wegnehmen mussten. Wir haben das dann, glaube ich, am radikalsten von allen teilnehmenden Büros neu interpretiert. Und das hat uns vermutlich auch einen besseren Preis gekostet. Wir hätten im Dachgeschoß auch liebliche Fenster machen können, wie der erste Preis, der das ein bisschen geschickter gemacht hat. Aber wir haben dort bewusst keine nachgebauten Renaissancefenster eingesetzt und haben die neue Dachzone als aktuellen Umbau deutlich kenntlich gemacht.
Es ist richtig, dass der Dachstuhl unter den Nationalsozialisten saniert wurde – aber dass dieser Umbau mit einer formalen Änderung des Daches einherging, die das Gebäude mächtiger erscheinen lassen sollte, ist uns nicht bekannt. Die Grundstruktur, das traufständige Dach zur Salzburger Vorstadt hin, ist jedenfalls auf historischen Aufnahmen der frühen 1930er Jahre bereits sichtbar.
Ich muss zugeben, dass ich das selber verifizieren muss. Ich war fest davon überzeugt, dass das Dach durch die Nazis umgebaut wurde. Das war für uns jedenfalls ein Hauptgrund zu sagen: der derzeitige Dachstuhl muss weg.
Wir haben viel über das Dach diskutiert, und das war dann der ausschlaggebende Grund. Es ging uns hier nicht um einen Formalismus, sondern um eine stringente Antwort im Sinne unseres Konzepts. Für uns war das unser Wissensstand.
Sie verlängern diesen Doppelgiebel auch in den rückwärtigen Anbau, extrudieren ihn dort.
Das Haus hatte historisch ein Hinterhaus, das durch einen ortstypischen, offenen Arkadengang angebunden war. Über das ursprüngliche Hinterhaus gibt es keine Informationen mehr, wenn ich mich nicht täusche. Im Modell war es für uns naheliegend, die Giebelständigkeit, die Giebelrichtungen und die Proportionen dort in dieser Struktur fortzuführen. In diesem Hinterhof mit der Arkade haben wir eine Chance gesehen, diese als solche neu interpretieren zu können. Die Idee war, dass in der inneren Struktur die Arkade als Innenraumqualität erfahrbar ist.
Wir haben einen Ansatz, den sehr viele Projekte hatten: wir sind sehr kompakt geblieben, indem wir diesen zentralen Arkadengang zum Zentrum des Hauses gemacht haben. Diese Lösung war einfach und pragmatisch. Neben der Dachzone haben wir sehr bewusst die Erdgeschoßzone verändert. Im Gegensatz zum Wettbewerbsgewinner, der versucht hat, ein paradigmatisches Renaissancehaus wiederherzustellen, wollten wir nicht so tun, als ob das Haus seit dem 16. Jahrhundert unverändert geblieben wäre und jetzt saniert wird – sondern wir wollten die von uns neu geplanten Teile ihren Funktionen gemäß gestalten und zuführen. Wir hatten Befürchtungen, dass die in der Auslobung geforderte „Normalisierung“ nicht gut funktionieren wird. Daher haben wir die Erdgeschoßzone offen geplant. Nicht mit Punktfenstern, sondern mit einer für die Polizeidienststelle geeigneten Lamellenstruktur. Das war bewusst ein Bruch mit dem Haus. Diese Lamellen ziehen sich hinten im Hof und im Garten weiter, was auch einen städtebaulichen Bezug zum Platz und zum alten Stadtkino herstellt. Da könnte ich jetzt noch viel reden, weil wir doch sehr viel mehr als das Hitlerhaus selbst bearbeitet und uns auch gründlich mit dem städtischen Umfeld auseinandergesetzt haben. Beim Haus selbst war uns wichtig, dass man es erkennt, es als historisch schönes, schlichtes Vorstadthaus wahrnimmt, das durch zeitgemäße Eingriffe „mit leisen Worten“ seine besondere Bedeutung vermittelt. Die historische Rolle dieses Ortes kann und sollte man nicht verschleiern.
Es war schon ein bewusst eher unromantischer Zugang: Das Haus so weit zu schütteln, dass es ganz nüchtern dasteht und dann diesen Giebel, diesen neu-alten Giebel, neu aufsetzen und auch bewusst in Beton ausführen – sodass der Passant in der Wahrnehmung ein Bewusstsein für die Geschichte des Hauses bekommt.
Ihr Entwurfskonzept folgt einem sehr analytischen Zugang. Könnte man vereinfacht sagen, dass es Ihnen darum ging, das Gebäude zu normalisieren – aber nicht zu neutralisieren? Inwieweit kann Erinnerung durch bauliche Maßnahmen überhaupt neutralisiert werden?
Wir wollten definitiv nichts faken. Wir wollten nicht einen neuen Dachstuhl aufsetzen und dann so tun, als sei er schon immer da gewesen. Es ging uns nicht so sehr darum, das Gebäude als Monument darzustellen, sondern wie man als Architekt ehrlich umgeht mit so einer Situation. Dieselbe Antwort kann man im Erdgeschoß geben: Es kommt dort mit der Polizei eine neue Funktion hinein. Eine Funktion, die nicht hinter komplett geschlossenen Fassaden stattfinden soll – unter allen Entsprechungen von Sichtschutz und Diskretion, die man zu erfüllen hat. Es geht darum, diese Normalisierung auch architektonisch zu manifestieren, in dem Sinne, dass man sich auf die Funktionen bezieht, die dort einziehen.
Sie haben bewusst Brüche und formale Zeichen eingebaut, die sehr gut erkennen lassen, dass das Gebäude doch kein beliebiges in der Salzburger Vorstadt ist, sondern zumindest ein Gebäude mit einer spezifischen Baugeschichte.
Die Frage war: Was ist die Alternative zum Neutralisieren? Ich kann einen Kontrapunkt setzen oder ein Architekturspektakel inszenieren. Und da bin ich mit Oliver Rathkolb und mit den anderen Historikern schon einer Meinung: Ich glaube, dass außergewöhnliche Lösungen nichts bringen würden. Dass man versucht, das Haus in einer Normalität erscheinen zu lassen, finde ich schon einen logischen Schritt, weil es dadurch nicht auffällt. Und ich glaube, es soll ja auch nicht auffallen – Hitler ist zufällig dort geboren.
Würden Sie sagen, dass man komplexen historischen Fragestellungen, wie Sie dieses Gebäude in der Salzburger Vorstadt als Geburtshaus von Adolf Hitler und auch als Pilgerstätte der NS-Zeit aufwirft, mit baulichen Lösungen gerecht werden kann?
Man muss, es gibt keine andere Lösung. Es wurde ja auch diskutiert, ob man das Haus schleift und eine Lücke lässt. Auch das ist eine bauliche Intervention. So gesehen ist die Frage als solches ganz undifferenziert mit Ja zu beantworten. Es ist eine gebaute Realität, und insofern kann meiner Meinung nach der Umgang damit nur auf derselben Ebene stattfinden.
Alles Gebaute und auch die Freiräume dazwischen sind physisch. Insofern kann die Problematik des Hitlerhauses gar nicht anders als mit konkreten Gestaltungen gelöst werden. Wie etwas ausschaut, ist zwar nicht zweitrangig, aber vor allem die Inhalte, also Funktion und Nutzung, bilden die Grundlagen, um bauliche Lösungen entwickeln zu können. Unser Lösungsvorschlag folgt den inhaltlichen Vorgaben für eine Polizeidienststelle in einem Vorstadthaus. Die unterscheidet sich natürlich wesentlich von einem Zeitgeschichte-Institut, einer Sozialeinrichtung oder einem Museum. Es ist logisch, dass sich die bauliche Umsetzung aus den inhaltlichen Vorgaben ergibt. Beim Hitlerhaus ist der Inhalt von der Wertigkeit her genauso wichtig wie die Gebäudegestalt.
Das Problem von Häusern, in denen Diktatoren geboren wurden, ist, dass sie nichts Böses darstellen, sie stellen kein Verbrechen, keinen Mord dar. Es gibt nichts, was dort passiert ist, außer der Geburt eines Babys. Es gibt mehrere dieser „Geburtshäuser“, und die werden immer sehr gerne unter dem Deckmantel der Harmlosigkeit vereinnahmt. Das war auch ein Teil dieser Geschichte, und ich glaube dieser Normalisierungswunsch setzt gerade darauf auf, dass hier kein Verbrechen stattgefunden hat, sondern etwas Harmloses.
Insofern ist das ein nicht einfach lösbarer Knoten, denn auf der einen Seite ist der Wunsch nach Normalisierung nachvollziehbar, aber man unterstützt damit genau das Narrativ, dass Hitler aus einer kleinen Beamtenfamilie stammt und sich vom Halbwaisen zum deutschen Kanzler und Diktator „hochgearbeitet“ hat – das erzählt das Haus jetzt auch ein bisschen.
Für das Haus, in dem Adolf Hitler geboren wurde, hat die Auslobung mit ihrer Empfehlung, „eine tiefgreifende architektonische Umgestaltung vorzunehmen, die dem Gebäude den Wiedererkennungswert und damit seine Symbolkraft entzieht“, eine klare Richtung vorgegeben.
Ich glaube, dass es generell extrem wichtig ist, dass in der Vorbereitung zu so einem Wettbewerbsverfahren die eigentlichen Weichen gestellt werden. Wenn eine Ausschreibung erst draußen ist, wenn die Teilnehmer in einem Präqualifikationsverfahren ausgesucht sind, gibt es viele andere Hürden: rechtliche Themen wie das Bundesvergabegesetz und so weiter. Da ist es oft auch vergaberechtlich gar nicht mehr möglich, etwas zu ändern.
Ich als Braunauer habe das Hitlerhaus auch nur von außen gekannt. Man hat früher schon hineingehen können, aber erst im Zuge des Wettbewerbs habe ich das Haus umfassend kennengelernt. Und ich finde es schade, dass es künftig nicht einer breiteren Öffentlichkeit offensteht. Ich will jetzt nicht einer Nutzung als Hitler-Tourismus das Wort reden, sondern betonen, dass man sich weiter mit dem Haus befassen sollte. Für mich ist das Wettbewerbsergebnis eine vergebene Chance.
Einen Wettbewerb als Mittel zu sehen, um sich als Architekt:in eingehend mit diesem Ort zu beschäftigen und in dieser Rolle Antworten zu diesen komplexen Fragestellungen zu entwickeln, finden wir einen wichtigen Punkt.
Und als Auslober den Mut zu haben zu sagen: Wir stehen hier vor einer beispiellosen Herausforderung und bitten um Ideen, Ansätze, Unterstützung. Und aus dieser Haltung heraus bewusst eine breitere Öffentlichkeit einzuladen, sich damit zu befassen – diesen Aspekt einer anderen Aufarbeitungs- und Vermittlungsstrategie hätte das gesamte Projekt auch beinhalten können. Solche Möglichkeiten wurden nicht genutzt, indem man das gesamte Verfahren intransparent und mit sehr wenig Öffentlichkeit durchgezogen hat.
Das ist sicher so.
Berücksichtigt man die historische Einzigartigkeit der Wettbewerbsaufgabe, waren ja recht wenig bekannte Architekturbüros dabei. Allein das hat eine gewisse Aussage.
Hier spiegelt sich vielleicht auch der schwierige Zugang wider, von dem ich ganz am Anfang gesprochen habe: Bei uns ist der Wettbewerb am Anfang gar nicht wahrgenommen worden, weil er nicht als der identifizierbar war, der er war.
Die inhaltliche Wettbewerbsaufgabe war extrem komplex. Und auch im Hearing hat sich gezeigt, dass man teilweise aneinander vorbeigeredet hat – besonders, was die Begrifflichkeiten angeht. Es war im gesamten Wettbewerbsverfahren nicht wirklich klar: Was genau wollen die Auslober? Obwohl ich persönlich eine in vielen Jahren erarbeitete Meinung zur künftigen Nutzung des Hauses hatte, haben wir im Wettbewerb selbst auch erst herausfinden müssen: Was wollen wir für diesen Ort letztendlich? Da waren so viele Themen in diesem Wettbewerb und die funktionale Beschränkung auf ein Polizeihaus war für uns absolut unbefriedigend. Für mich war es bisher die komplexeste Aufgabe meines Lebens.