Gebaute Verdrängung?
Kritische Nachbesprechung zum Architekturwettbewerb für eine Polizeistation im Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau am Inn.
Der Architekturwettbewerb für eine Polizeistation im Geburtshaus von Adolf Hitler steht symptomatisch für den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs vonseiten der verantwortlichen politischen Institutionen: Statt sich im Rahmen des geplanten Umbaus einer kritischen Auseinandersetzung mit dem unbequemen gesellschaftlichen und baulichen Erbe zu stellen, wurde als Absicht des Wettbewerbs formuliert, die „Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus [zu] beseitigen [...]“.
Die Gesprächsreihe mit am Verfahren beteiligten Architekt:innen und Jurymitgliedern macht deutlich, dass ein standardisiertes Verfahrensmodell der Architektur im Umgang mit einem beispiellosen Ort keine gültigen Antworten liefern kann. Eine breite öffentliche Debatte bleibt notwendig, um die geplante bauliche Verdrängung abzuwenden.
- Inszenierung als Geburtshaus
- Wettbewerbsverfahren
- Kommissionsbericht
- Neutralisierung
- Polizeistation
- Bauliche Strategie
- Sprachlichkeit
- Gedenkpolitischer Umgang
- Rolle der Architekt:innenschaft
- Öffentlichkeit
Themen
Adolf Hitler wird 1889 in Braunau am Inn in der Salzburger Vorstadt 15 geboren, wenige Monate nach seiner Geburt zieht die Familie in eine andere Wohnung und später nach Passau um. 1938 erwirbt die NSDAP das Gebäude und inszeniert es als „Geburtsstätte des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler“. Als solches wird es für diverse Propagandazwecke genutzt, baulich adaptiert und auch unter Denkmalschutz gestellt. Seither ist das Gebäude in seiner äußeren Form unverändert erhalten und auch die von den Nationalsozialisten geprägte Zuschreibung als „Geburtshaus“ besteht weiterhin.
2019 wird der Architekturwettbewerb für eine Polizeistation im Geburtshaus von Adolf Hitler, das sich seit der Enteignung im Besitz des Innenministeriums befindet, von diesem als EU-weiter, nicht offener, einstufiger Realisierungswettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren ausgeschrieben. Als Sieger des Wettbewerbs geht 2020 das österreichische Architekturbüro Marte.Marte hervor. Mit der Entscheidung für das standardisierte Verfahrensmodell eines Realisierungswettbewerbs werden wesentliche bauliche, programmatische und gestalterische Festlegungen durch den Auslober ohne jegliche Einbeziehung der Öffentlichkeit definiert.
Wichtigste Grundlage für den Wettbewerb bildet der Abschlussbericht der „Kommission zum historisch korrekten Umgang mit dem Geburtshaus Adolf Hitlers“, die von Innenminister Sobotka 2016 einberufen wird. Empfohlen werden darin zwei Nutzungsarten: eine sozial-karitative oder eine behördlich-administrative Nutzung; eine Nutzung für museale oder edukative Zwecke wird explizit ausgeschlossen. Zudem fordert die Kommission, eine „tiefgreifende architektonische Umgestaltung vorzunehmen, die dem Gebäude den Wiedererkennungswert und damit die Symbolkraft entzieht“.
Als Ziel des Wettbewerbs wird die bauliche „Neutralisierung“ des Gebäudes formuliert. Mittels „harmonischer Einordnung in den Kontext des Stadtbildes“ soll das Geburtshaus – so die Idee der Auslober – soweit normalisiert werden, dass es nicht mehr auffindbar ist.
Durch das Innenministerium erfolgt 2019 die fragwürdige Festlegung der zukünftigen Nutzung des Gebäudes als Polizeistation. Diese wird als vermeintlich beste Möglichkeit erachtet, eine dauerhafte Unterbindung der „Pflege, Förderung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts oder eines bejahenden Gedenkens an den Nationalsozialismus“ an diesem Ort sicherzustellen, zu der sich die Republik Österreich mit dem Enteignungsgesetz verpflichtet hatte.
Mit dem Enteignungsgesetz wird der bestehende Denkmalschutz des Gebäudes aufgehoben, um eine größtmögliche bauliche Veränderung zu ermöglichen. Die Wettbewerbsauslobung fordert „für das Gebäude eine neue Identität“ zu schaffen und nimmt die Möglichkeit der Rückführung auf eine historische Fassung des Gebäudes mit zwei getrennten, giebelständigen Gebäuden bereits vorweg. Der Großteil der teilnehmenden Büros folgt dieser baulichen Strategie und schlägt die Rekonstruktion des Daches mit Doppelgiebel vor.
Der Wettbewerb mit dem verklausulierten Titel „Umgestaltung des Gebäudes Salzburger Vorstadt 15“ vermeidet sprachlich die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistisch belasteten Geschichte des Gebäudes – der Name Adolf Hitler scheint in der Ausschreibung nicht auf. Die Aufgabe der Umgestaltung wird als rein technisch-pragmatisch zu lösendes, bauliches Problem formuliert.
Die ausbleibende Benennung und damit fehlende sprachliche Orientierung führt in den Wettbewerbsbeiträgen zu unbedarften bis skandalösen Formulierungen, wie „Nach Regen kommt Sonnenschein!“ (Tp3 Architekten), oder die Bezeichnung des Geburtshauses als „Führergeburtshaus“ (Marte.Marte), bis hin zur Idee, die Zeit mittels architektonischer Strategien „bis 1750 zurück [zu drehen], lange bevor Adolf Hitler geboren wurde.“ (Marte.Marte)
Bei dem Haus, in dem Hitler geboren wurde, handelt es sich um einen beispiellosen Ort, der weder Opferort noch Täterort ist. Erst durch die Inszenierung der Nationalsozialisten als Geburtshaus und Zuschreibung als Erinnerungsstätte wird er zum belasteten Ort. Die Forderung des Auslobers mit der Umgestaltung die „Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus [zu] beseitigen“ steht einer angemessenen kritischen Auseinandersetzung konträr gegenüber und produziert das Geschichtsbild einer gebauten Verdrängung.
Die Auswahlwahlkriterien des Auslobers für das Teilnehmerfeld sind auf die Realisierungsfähigkeit und die Expertise des Bauens im Bestand beschränkt. Kann man komplexen, historischen Fragestellungen unter diesen Voraussetzungen mit technisch-pragmatischen, baulichen Lösungen alleine gerecht werden? Aus den Wettbewerbsbeiträgen ergibt sich ein sehr konträres Bild mit unterschiedlichsten Standpunkten hinsichtlich der historischen Verantwortung und dem Selbstverständnis der Architekturdisziplin.
Die Strategie des Innenministeriums, den nicht offenen, einstufigen Realisierungswettbewerb auch möglichst ohne öffentliche Aufmerksamkeit durchzuführen, zeigt sich in der Pressearbeit, die über den gesamten Projektzeitraum 2019 bis 2023 aus lediglich zwei offiziellen Presseaussendungen besteht. Verantwortliche Personen im Innenministerium waren in Bezug auf dieses Projekt nicht zu einem Gespräch bereit, stattdessen verwiesen sie auf die genannten Aussendungen, sowie parlamentarische Anfragebeantwortungen.
Archiv
Kuratiertes, chronologisches Archiv über die Geschichte des Hitlerhauses in Braunau als Auszug aus der offenen Plattform Braunau History.
Inszenierung als Geburtshaus Adolf Hitlers unter den Nationalsozialisten
Öffentliche und karitative Nutzung des Gebäudes in der Nachkriegszeit
Versuche der Kontextualisierung und Aufstellung des Mahnsteins vor dem Gebäude
Enteignungsverfahren und politische Weichenstellung für einen Umbau unter dem ÖVP-geführten Innenministerium
Wettbewerbsverfahren
Ausführung, verzögerter Baubeginn und Baukostensteigerung
How to Hitlerhaus? Kritische Nachbesprechung zum Architekturwettbewerb für eine Polizeistation im Geburtshaus von Adolf Hitler, Präsentation der Publikation und Diskussion mit der Alternativen Kommission, MAK – Museum für angewandte Kunst Wien, 15.3.2023. → zum Videomitschnitt der Veranstaltung
Parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Mag. Eva Blimlinger, Kolleginnen und Kollegen (Grüne), an den Bundesminister für Inneres Mag. Gerhard Karner betreffend der Zukunft des Hitler Geburtshauses.